You have to think like a cow – Teil 2

Das Leben auf einer Ranch ist nicht einfach. Roger und Janet arbeiten meistens von früh morgens bis spät abends, ohne richtiges Wochenende und hatten seit elf Jahren keinen Urlaub mehr. Je nach Jahreszeit folgt die Arbeitsbelastung dem Rhythmus der Natur. Die körperliche Arbeit ist schwer, vom Eimer schleppen über Bewässerungsrohre ausrichten hin zu Einfangen von Kühen vom Pferd aus mit dem Lasso oder Kälber impfen und markieren. Selbst das Schwingen einer Peitsche erfordert viel Kraft, was wir selbst durch Ausprobieren erfahren durften. Alle Probleme die Auftreten, wie das Kaputtgehen eines Arbeitsgerätes, Verfallen von Zäunen, sture Jungbullen usw., müssen selbst gelöst werden. Roger erklärte uns, um eine Ranch zu betreiben und damit zu überleben, muss man alles sein: Cowboy, Farmer, Tierarzt, Mechaniker, Klempner, Wettervorhersager, Pferdeversteher, Hufschmied, Gärtner, Zimmermann, … . Es gibt in allen Bereichen immer etwas zu tun. So erleben wir es auch in den Tagen auf der Farm, jeden Tag gibt es neue Aufgaben, neue Probleme. Wir haben Respekt vor dem was die beiden leisten und können müssen. In Deutschland heißt es ja oft der „dumme Bauer…“, doch wir haben hier gegenteiliges gelernt.  
 
So ging bei uns weiter:
 
Tag 6 – Di, 02.09.2014
 
Wir holen mit Hilfe einer hydraulischen Vorrichtung eine Fahrzeugachse vom Feld und fahren anschließend nach Billings, eine Stadt circa 1 Stunde Autofahrt entfernt, um zwei platte Traktorreifen reparieren zu lassen. Dort besuchen wir auch Roger und Janets Kinder Wilkie und Katie an ihren Colleges. Am Abend sind wir wieder mit Heuballen Transport beschäftigt, bevor wir für Roger und Janet ein Abendessen kochen.
 
 
Tag 7 – Mi, 03.09.2014
 
Wie fängt man auf dem Feld 14 Pferde mit einem einzigen Auto? Roger macht es uns vor. Ein Nachbar hatte ihm Bescheid gegeben, dass seine neun Pferde durch einen kaputten Zaun von ihrer Weide ausgebrochen sind. Weitere fünf Pferde von einem anderen Nachbarn haben sich auf der Nachbarweide dazu gesellt. Speziell diese fünf Pferde sind nicht leicht zu handhaben, da mit ihnen noch nicht gearbeitet wurde. Der erste Schritt ist also alle Pferde auf eine Weide zu bekommen und sie dann gemeinsam zum Verschlag zu bringen. Wir scheuchen also mit dem Truck die fünf Pferde des Nachbarn in Richtung Tor zur anderen Weide, wo bereits Stephan mit Rogers Pferden zum Tor gelaufen kommt. Leider entscheiden sich Rogers Pferde plötzlich dazu, in unsere Richtung zu stürmen und somit rennen die fünf ungebändigten Pferde wieder zurück aufs Feld. Nun können wir wieder von vorne anfangen. Durch geschicktes umherpreschen mit dem Truck auf dem Feld, schafft es Roger sie in die richtige Richtung zu lenken. Er weiß also nicht nur wie Kühe denken, sondern kann auch das Verhalten der Pferde gut vorhersagen. Letztendlich schaffen wir es alle Tiere ins Gehege zu treiben.
 
 
Tag 8 – Do, 04.09.2014
 
Wir sehen vertrauenswürdig genug aus, dass uns Roger einmal seine Gewehre und Revolver ausprobieren lässt. Wir üben also Zielschießen auf Dosen, Flaschen und eine Pappschachtel. Anfangs der Reise dachte ich noch es wird wohl kaum einen amerikanischen Haushalt geben, der nicht eine Schusswaffe hat. Mittlerweile glaube ich, dass es kaum einen amerikanischen Haushalt gibt, der nur eine Schusswaffe hat. Jedenfalls starten wir mit dem halbautomatischen Kurzdistanz-Gewehr. Danach folgt ein kleiner Revolver mit 22er Kaliber, ein Spielzeug im Vergleich zur 44er Magnum. Diese muss man schon gut festhalten, damit sie nach dem Abschuss nicht nach hinten wegfliegt, der Rückstoß ist ordentlich und geht durch den ganzen Körper. Auch die Winchester sollte man gut festhalten und an die Schulter pressen. Eine weitere Steigerung ist dann das Langdistanz-Gewehr mit Standfuss und Zielrohr . Zum anvisieren und schießen liegen wir auf dem Boden. Diese fünf Gewehre und Revolver sind nur ein Teil des Bestandes an Schusswaffen auf der Ranch. Für uns Deutsche erscheint dies seltsam, ebenso wie der Sachverhalt, dass man Gewehre im Supermarkt kaufen kann. Für den Großteil der Menschen hier sind Schusswaffen ein Jagd- oder Sportgerät. Es ist hier nicht unüblich, selbst für das Fleisch auf dem Teller zu sorgen. Solange man dies für den eigenen Fleischbedarf macht und nicht für die Zierde an der Wand, erscheint es mir ebenso legitim, wie in den Supermarkt zu gehen, und sich dort das Fleisch von dem Tier zu kaufen, was Andere für einen getötet haben. Viele Leute hier lernen von klein auf, mit Waffen umzugehen. Es ist für sie wie ein Arbeitsgerät – ein Werkzeug, sie kennen die sichere Handhabung. Mit einem Küchenmesser kann man Zwiebeln schneiden oder auf jemanden einstechen. Mit einem Auto kann man von A nach B fahren, oder rücksichtslos umherrasen und Unfälle provozieren. Dennoch finde ich es sehr fraglich, dass hier viele Leute zur „Selbstverteidigung“ versteckt eine Waffe bei sich tragen, wenn sie auf der Straße unterwegs sind. Senkt es wirklich die Kriminalitätsrate, wenn jeder eine Waffe hat und sich somit die „Bösen“ aus Angst vor Gegenwehr nicht trauen Leute auszurauben? Hier also im Umkehrschluss der Vorschlag an unsere Bundesregierung: Schusswaffen legalisieren, das senkt die Kriminalitätsrate… .    
 
 
Tag 9 – Fr, 05.09.2014
 
Am Vormittag müssen wir erneut die Pferde einfangen. Diesmal sind sie soweit in den Hügeln, dass wir hier mit dem Truck nicht weiter kommen. Roger macht sich mit einem Eimer Futtergetreide auf den Weg und gewinnt so das Vertrauen einiger Tiere. Einige Tiere folgen ihm und der Herdentrieb sorgt dafür, dass noch weitere nachkommen. Kein Pferd steht gerne alleine auf der Weide. Während Roger also die Pferde einsammelt, kümmern wir uns mit einem Nachbarn darum den Stacheldrahtzaun zu reparieren. Der Mann hat bei einem Arbeitsunfall eine Hand verloren, an deren Stelle sitzt nun ein Metallgreifer. Geschickt wickelt er damit den Stacheldraht und es ist wie immer in solchen Situationen: schaut man hin, kommt man sich vor als würde man gaffen, schaut man weg sieht es eben nach Wegschauen aus. Im Hinterkopf denkt man darüber nach, wie jemand so den Arbeitsalltag auf einer Ranch meistert. Nach der ersten halben Stunde sind vier Pferde am Truckende angeleint, nach einer weiteren halben Stunde alle neun. Während Stephan den Truck zurück zum Verschlag fährt, führen Roger und ich die Pferde an der Leine zurück zu ihrem Stall. Eine dreiviertel Stunde Fußmarsch über Feld und Hügel mit drei freundlichen Pferden an der Leine zählt dann für mich doch zu den besonderen Erlebnissen. Stephan konnte derweil neue Erfahrungen im Off-Road-Fahren machen, denn die Weiden auf denen wir uns befinden, sind alles Andere als eben. So durfte er den Pickup entlang steiler Böschungen herunter und herauf fahren, um dann wieder auf die Straße zu gelangen.
 
Am Nachmittag sammeln wir mit Hilfe des Traktors die schweren Rohre des Bewässerungssystems vom Feld und ziehen die Wasserpumpe aus dem Creek. Zur Belohnung gibt es Janets Spezial-Marshmellow-Schokoladen-Crisp-Kuchen. Da wir bisher nur Stacheln von Stachelschweinen gesehen haben, wir aber noch keines haben rumlaufen sehen, fährt Roger in der Nacht mit uns aufs Feld um im Scheinwerferlicht welche zu suchen. Tatsächlich, da wackeln sie mit ihrem riesigen Stachelhintern übers Feld. An einem der letzten Tage hatte auch der Hund Tom nochmal das Vergnügen gehabt, seine Schnauze in ein Nadelkissen zu verwandeln. Gleiche Prozedur, gleiche Quälerei.    
 
 
Tag 10 – Sa, 06.09.2014
 
Heute ist mal Wochenende. Wir machen unseren zweiten Ausritt. Diesmal geht es richtig ins Gelände über Stock und Stein. Wir klettern mit den Pferden felsige Pfade hoch und runter und müssen uns unter Bäumen ducken. Zunächst war ich etwas skeptisch ob wir das schaffen, doch dann macht es richtig Spaß. Später fahren wir mit Roger und seiner Tochter Katie zur „Truck Pull Championship“ in Red Lodge. Aufgepimpte Pickup Trucks ziehen auf sandigem Boden in verschiedenen Gewichtsklassen einen speziellen Schlitten hinter sich her. Wer die meiste Strecke macht gewinnt. So werden wir Zeugen eines etwas außergewöhnlicheren US-Sport. Anschließend fahren wir auf die Weide, auf die wir vor einigen Tagen die Kühe gebracht haben und prüfen, ob alles in Ordnung ist.
 
 
Tag 11 – So, 07.09.2014
 
Es ist unser letzter Tag und so reiten wir noch ein letztes Mal ins Gelände (Roger mit Turbo, Stephan mit Showdown, Ulli mit Scarlet) Wir reiten zunächst über das Feld hinter die Ranch auf einen Hügel. Das durch die Abendsonne goldfarben leuchtende Grass biegt sich sanft im Wind und der Sagebrush verbreitet seinen angenehmen Duft. Circa 500m entfernt steht ein Hirsch der uns argwöhnisch beobachtet und dann im Busch verschwindet. Zwischen knorrigen Nadelbäumen geht es wieder steinige Anstiege hinauf und hinunter. Diesmal reiten wir ohne Führungsleine, wir führen unsere Pferde selbst durch die für uns Anfänger etwas schwieriger zu bereitende Landschaft. Die Hunde Tom und Jerry begleiten uns dabei. Hoffentlich werden die Pferde von keiner Klapperschlange aufgeschreckt. Vom Hügel aus haben wir einen wunderschönen Blick in die Ferne, auf die hügeligen gelbfarbenen Weiden Montanas, in deren Hintergrund die Prior Mountains und die Bergkette aufragen, die wir von Yellowstone aus mit dem Beartooth Pass überquert hatten. Das Wasser des Cooney Damn glitzert in der Sonne. Es ist einer dieser Momente und Anblicke, die sich hoffentlich für ewig ins Gedächtnis brennen. Zurück in der Ranch reiten wir noch etwas auf dem Platz. Nachdem wir die Pferde abgesattelt haben, gehen wir über den Creek zurück zum Farm Haus. Es ist inzwischen schon dunkel und fast Vollmond.
 
Am Morgen war das Hühnerhaus umgezogen. Die Hühner sind nun verwirrt und kehren zur Nachtruhe nicht in ihr Haus zurück. Stattdessen glucken sie irgendwo zwischen den Landmaschinen. Wir sammeln alle ein um sie zu ihrem Haus zu bringen. Mit je zwei Hühnchen unterm Arm, spazieren wir so im Mondlicht mehrmals über den Hof. Das war unsere letzte erinnerungswürdige Aktion auf dem Hof, denn am nächsten Tag reisen wir ab.   Der kommende Winter und das begrenzte Aufenthaltsvisum zwingen uns weiter zu fahren, auch wenn wir eigentlich gar nicht mehr weg wollen. Wir hatten ja sogar den geplanten Umweg zu Mt. Rushmore und Devils Tower gekippt, um noch zwei Tage länger bleiben zu können. Was sind schon ein paar Felsbrocken gegen solch eine Erfahrung? Wir haben eine großartige Zeit auf der Ranch mit Roger und Janet gehabt und es ist definitiv ein Highlight auf unserer Reise. Wir haben viel von den beiden gelernt, waren viel draußen, haben mit Tieren gearbeitet und wurden von Janets ausgezeichneten Back- und Kochkünsten verwöhnt. Jeder Tag war anders und bot uns neue Überraschungen. Wir haben gelernt wie man Traktor fährt, Zäune repariert, Kühe verlädt, Pferde sattelt, Peitschen schwingt, Stacheln aus Hundeschnauzen zieht, Heuballen lagert usw. Wir haben Roger und Janet sehr zu schätzen gelernt und uns bei Ihnen sehr wohl gefühlt. Wir haben viel gemeinsam gelacht, aber auch interessante Themen diskutiert.
 
Roger und Janet, Danke Euch vielmals für diese erlebnisreiche und tolle Zeit!
 
 
 


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