Märchenland und Wüstenachterbahn

05. – 10.10.2014
 
Irgendwo hatten wir mal Leute sagen hören „Bryce Canyon“, den schafft ihr in einem halben Tag. Diese Leute wissen gar nicht was ihnen entgangen ist. Die Parkstraße abzufahren und an den Aussichtspunkten anhalten ist das eine. Doch mindestens genauso faszinierend wie der Anblick von oben, ist eine Wanderung im Inneren des Canyons. Wir nehmen uns also, nachdem wir am ersten Tag einige Aussichtspunkte abgefahren sind, noch einen zweiten Tag für den Bryce Canyon Zeit und wandern den 13km langen Fairyland Loop. Was wir hier sehen sucht seinesgleichen. Wir befinden uns wahrlich in einem Märchenland. Ganze Schlösser meint man zu sehen und es fehlen nur noch die Kobolde und Feen zwischen den bunten Felsen. Wir haben mal die verschiedenen Farben gezählt, die man hier von einer Stelle in den Steinwäldern um uns herum beobachten kann: rot, orange, rosa, lila, weiß, gelb, braun, grün und alle möglichen diversen Zwischentöne. Es ist ein Wunder, dass diese Landschaft noch nicht als Filmkulisse gedient hat. Wie vermutet sind die 13 km Rundweg den meisten Touristen zu lang und so sind wir mehrere Stunden unterwegs und treffen nur wenige Leute an. Der Bryce Canyon zählt definitiv zu unseren „USA-Highlights“.
 
In der Nähe hatten wir in einer „Forest Service Road“ des Red Canyon einen schönen Platz für unser Zelt gefunden. Tagsüber haben wir das Zelt und die Schlafsäcke dort zurückgelassen. Dabei hatte ich ein nicht ganz so gutes Gefühl, doch hierhin verirren sich nur wenige und dann sind dies meistens Naturliebhaber und keine Zelträuber. An zwei Abenden können wir Lagerfeuer machen und Marshmellows rösten. Im Schutz der Dunkelheit und bei ausreichender Wärme des Feuers, „Duschen“ wir uns mit unseren Wasservorräten unter freiem Himmel. Da wir uns auf 2500m Höhe befinden und es schon Anfang Oktober ist, sind die Nächte hier mit Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes sehr kalt. Da freuen wir uns morgens über die verbleibende Glut unter der Asche, die noch erstaunlich warm ist. Die Tage werden für uns zunehmend kürzer, denn es wird bereits kurz nach 6 Uhr dunkel und damit auch kalt. Wir spüren direkt den Temperaturabfall, nachdem die Sonne hinter dem Berg verschwunden ist. Morgens wird es gegen 7 Uhr hell, doch es dauert eine ganze Weile bis es wenigstens 10 Grad werden. Nachmittags ist es in der Sonne wiederum so heiß, dass wir es nur im T-Shirt und Kurzer Hose aushalten.
 
In einer Lokalzeitung hatten wir ein Foto von der „Wave“ gesehen. Die „Wave“ ist eine einzigartige wellenförmige Steinlandschaft, die man nur mit einer speziellen Erlaubnis (Permit) bewandern darf. Diese Permits werden aufgrund des hohen Andrangs jeden Morgen für den Folgetag in der Kleinstadt Kanab verlost. Es gibt pro Tag nur 10 Plätze, die vor Ort verlost werden und selbst in der Nebensaison stehen angeblich 50 Leute auf der Matte. Die Erfolgschancen sind also relativ gering, aber wir wollen es dennoch versuchen.
Damit wir morgens direkt um halb neun am Ort des Geschehens sein können, machen wir uns in der näheren Umgebung von Kanab auf die Suche nach einem Platz für unser Zelt. Der Coral Pink Sand Dunes Park scheint uns dafür geeignet. Nachdem wir uns ein paar Mal im Sand auf Seitenwegen festgefahren hatten, war die Stimmung im Keller. Schließlich finden wir eine große weite Fläche, die auf den ersten Augenblick nicht so gemütlich aussieht, doch wir sind zu fertig um weiter zu suchen.
 
Nachdem sich jeder für sich abreagiert hat, passieren zwei ATV Fahrer unser Zelt und grüßen. Bei Einbruch der Dunkelheit kommen sie zurück und halten bei uns an. Einer der beiden stellt sich als Dave vor und lädt uns dazu ein, später in ihr Camp zu kommen. Er interessiert sich für unsere Motorradreise und im Camp gäbe es Kuchen. Mit Essen kann man Reisende immer locken und da wir heute im Dunkeln eh nichts Besseres zu tun haben, gesellen wir uns später hinzu. Es ist eine größere Familie, die hier versteckt im Busch ihr Lager aufgeschlagen hat. Drei ATVs stehen hintereinander aufgereiht und dahinter sitzen alle um ein großes Lagerfeuer herum. Innerhalb von drei Minuten sitzen wir in Campingstühlen, in einer Hand eine Soda, in der anderen ein Smore (heißer Marshmellow mit Keks und Schokolade). Während wir das Kaltgetränk genießen, werden wir mit Fragen zu unserer Reise bombardiert. Die beantworten wir natürlich gerne und bald hat sich eine lebendige Gesprächsrunde entwickelt. Dave lädt uns für den nächsten Morgen auf eine 20-minütige ATV Fahrt ein und bringt damit unseren Plan nach Kanab zu fahren ins wanken. Wir haben auf Grund einer Verabredung in St. George nicht mehr viel Zeit und müssen uns daher entscheiden: einmalige Wave oder einmalige ATV Tour? Ja, auch wir haben Luxusprobleme.
 
Am nächsten Morgen steht unsere Entscheidung fest: wir nehmen Dave‘s Angebot an. Auf dem ATV ist ein Aufkleber angebracht mit den Hinweisen „niemals Passagiere mitnehmen“ und „nur mit Helm und Schutzkleidung fahren“. Ich nehme also bei Dave auf dem Rücksitz Platz und Stephan bei Brady. Dave’s Töchter nehmen auf dem dritten ATV Platz. Es folgen zwei adrenalinreiche Stunden auf den Sanddünen. Auf dem Rücksitz müssen wir uns gut festklammern, denn wir preschen in einem Affenzahn über die Dünen. Interessant wird es immer, wenn wir oben am Kamm ankommen und erst dann sehen, wie steil die Düne dahinter abfällt. Da fahren wir doch jetzt nicht geradeaus runter? Doch. Aaaahhhh, es ist ein Gefühl wie in einer Achterbahn, nur das unsere Fahrer den Pfad selbst bestimmen können und immer wieder neue verrückte Wege, Höhen, Tiefen und Kurven finden. Die Dünenwüste scheint unendlich, es ist kein Mensch hier und wir haben das ganze Areal für uns. Bald haben wir das Gefühl zu fliegen und es stellt sich ein unglaubliches Freiheitsgefühl ein. Wir düsen hinauf und hinunter, schlagen Haken, springen und am Ende machen unsere Fahrer ein paar Wheelies. Wir haben das Gefühl eine Lotterie mit einem viel besseren Preis gewonnen zu haben. Das breite Grinsen in unseren Gesichtern ist unvermeidlich und löst sich erst einige Zeit nach der Fahrt.
 
Vielen Dank nochmals an dieser Stelle an Dave und seine Familie, für dieses berauschende Erlebnis!

 
Den restlichen Tag verbringen wir mit Dave, seiner Frau Char, den fünf Kindern und den Großeltern im Camp mit Spielen, Essen, Ausruhen und Feuerholz sammeln. Die Familie gehört der Glaubensrichtung der Mormonen an, die besonders hier in Utah weit verbreitet ist.
Dave ist ein Adrenalin-Junkie und hat in seinem Leben schon einige verrückte Sachen gemacht, gewollt oder ungewollt. Am Lagerfeuer kommen wir in den Genuss seiner abenteuerlichen Geschichten, die auf wahren Begebenheiten seines Lebens beruhen. Seine Kinder nennen diese scherzhaft „I-should-not-be-alive“ Stories. Mittlerweile haben die Geschichten eigene Titel wie Snakepit, Cougar bite, Hobo time, Bumper rides … . Dave ist wahrlich ein Erzählmeister und bringt uns alle zum Lachen.
 
Der Zion National Park hat sicherlich mehr verdient als nur einen Tag Aufmerksamkeit und ein paar Zeilen Text, doch da wir eine Verabredung in St. George haben, bleibt uns nicht viel mehr Zeit. So entscheiden wir uns für eine Fahrt mit dem kostenlosen Shuttlebus in den Zion Canyon und zwei kürzere Wanderungen innerhalb von einem Tag. Der Park ist auf den Hauptpfaden gut besucht, bietet jedoch auf den abgelegeneren Pfaden sehr schöne Wanderwege. Auf dem Rückweg von den Emerald Pools, die uns als größere Schlammpfützen enttäuscht haben, machen wir unsere erste Begegnung mit einer wild lebenden Tarantel. Sie wandert langsam über den Pfad, sodass wir in Ruhe ein paar Fotos machen können.
 
Ein Park Ranger hatte uns den Tipp gegeben, dass man am Rande eines anderen Teiles des Parkes frei campen kann. Wir machen uns also auf den Weg zum Kolob Reservoir und fahren eine sehr schöne Bergstraße hinauf auf ein Plateau. Dort sehen wir den Zion Park von einer weiteren schönen Seite. Wir schrauben uns immer höher und höher und bald wird es uns frisch um die Ohren. Kurz vor dem Ziel durchfahren wir leuchtend gelbe Aspenwälder. Durch die dunkleren Holzhütten, die wir ab und an zwischen dem Laub entdecken, haben wir plötzlich das Gefühl in Russland zu sein und bald die Hexe Babjaga in ihrem Sommerhaus anzutreffen. Das Kolob Reservoir ist ein mittelgroßer Stausee, der vielen Wasservögeln ein zu Hause bietet. Wir verbringen noch eine letzte kalte Nacht im Freien, bevor wir am nächsten Tag nach 25 Übernachtungen im Zelt zu Ben nach St. George fahren.
 


Posted in USA by