Mexiko-Stadt

17.-20.12.2014
 
Was wussten wir schon über Mexiko-Stadt? Vielleicht das es die Hauptstadt Mexikos ist, zu den größten Städten der Welt gehört und in der Nähe des Vulkanes Popocatepetl liegt. Als erstes lernen wir schon lange bevor wir die Stadt erreichen hinzu, dass die Mexikaner ihre Hauptstadt einfach nur „Mexico“ oder D.F. (Distrito Federal) nennen. Aus dem Norden kommend nähern wir uns dem riesigen Moloch in dem 8,8 Millionen Menschen leben, zählt man auch die umliegende Metropolregion hinzu, sind es 20 Millionen.
 
Die Caseta (Kassenhäuschen zum Bezahlen der Cuota = Mautgebühr) ist von halbmaskierten Jugendlichen besetzt. Im ersten Moment denkt man natürlich Schlimmeres, doch wir dürfen einfach ohne zu bezahlen durchfahren. Später erfahren wir, dass solche Aktionen gegen die Regierung gerichtet sind und eine Art Demonstration darstellen. Wir brauchen circa 1,5h durch die Stadt bis zu unseren mexikanischen Freunden. Die Autopista ist wie erwartet voll, dennoch haben wir Glück und können große Teile der Strecke im relativ flüssigen Verkehr fahren. Über uns kreuzen Straßen in bis zu 3 Etagen und von rechts und links fließt ständig neuer Verkehr hinzu. Mein Navigationsgerät ist mittlerweile desorientiert, denn die Autobahn die genau über unserer Fahrspur verläuft, versperrt dem GPS-Signal den Weg. Dazu fällt mir nichts Besseres ein als ruhig zu bleiben und mich daran zu erinnern, dass wir lange auf dieser Straße bleiben sollten und irgendwann mal nach links müssen. Nachdem wir von der Autopista runter sind, geht es auch schon direkt zur Sache. Auf einer dreispurigen Straße sind vier Spuren oder mehr eröffnet, auf denen man sich als Motorradfahrer sein Recht gegenüber den zahlreichen Bussen schon erkämpfen muss. In dem Fall bin ich erstmal froh, dass es nur langsam voran geht, denn dann wird man nicht so schnell über den Haufen gefahren.
 
Kurz vor dem Ziel begehen wir unsere erste bewusste Verkehrswidrigkeit in Mexico: wir nutzen die Spur, die exklusiv für den Metrobus gedacht ist. Wir stecken in einem langen Stau auf der Hauptstraße und müssten eigentlich nach links abbiegen. Doch das ist nirgendwo auf dieser Straße erlaubt, sodass wir uns auf der Suche nach einer Umkehrmöglichkeit immer weiter in die Falsche Richtung durch den Stau quälen. Auf der exklusiven linken Spur rauschen die Metrobusse an uns vorbei. Als nach einiger Zeit ein Motorrad hinterherdüst, entschließe ich mich das selbige zu tun. Wir fahren also auf der Metrobusspur vor bis zur nächsten Kreuzung, machen einen U-Turn auf die Gegenspur des Metrobusses und da wir schon mal auf der „freien“ Spur sind, mogeln wir uns zügig am Stau vorbei. Nur als dann wirklich ein Metrobus angedüst kommt, sind wir froh, als endlich die Ampel grün wird und wir gerade noch zurück auf die „normale“ Spur kommen.
 
Jorge und Roxana wohnen in einem Hochhaus im Norden von Coyoacán in einem 3-Zimmer Apartment. Jorge arbeitet bei einer mexikanischen Zeitung, Roxana ist Kunstlehrerin an einer öffentlichen Schule. Nicht zu vergessen „la Rata“ die alte Meerschweinchendame, welche die beiden vor kurzem adoptiert haben. An unserem ersten Abend in D.F. gehen wir mit Roxana und ihrer besten Freundin Denise im Zentrum von Coyoacan essen. Wir sind überrascht von dem schönen Hauptplatz (in Lateinamerika “Zocalo“ genannt): in der Mitte des schön angelegten und gut gepflegten Parks steht ein hübscher Pavillon, umgeben von vielen Bänken, die zum Sitzen und Verweilen einladen. Auf dem gesamten Platz tummeln sich Menschen: Familien mit Kindern, Liebespaare, Rentner, Jugendliche, Verkäufer von Süßigkeiten und Kleinwaren… Nach dem Essen gehen wir in eine Cocktailbar und machen erste Bekanntschaft mit dem mexikanischen Nationalgetränk: Pulque. Es ist ein durch Bakterien fermentierter Saft aus Agaven und kann zwischen 2 und 6 Vol.-% Alkohol enthalten. Da das Getränk schnell verderblich ist, findet man es kaum außerhalb Mexikos. Wenn mich die Mexikaner fragen, wie mir Pulque schmeckt, sage ich meist „mas o menos“, was so viel bedeutet wie „mehr oder weniger“. Es schmeckt eigentlich gar nicht so übel, nur die leicht schleimige Konsistenz ist mir zuwider. Zum Abschluss gibt es noch Churros: frittierte Teigstangen mit diversen Füllungen wie Karamell, Schokolade, Ananas und vielen anderen Geschmacksrichtungen, die wir noch nicht kennen.
 
Direkt am Folgetag unserer Ankunft hat Stephan einen Zahnarzttermin. Er verspürt seit einiger Zeit Druck auf einen Backenzahn und da wir es nicht auf eine Wurzelbehandlung in Guatemala oder Honduras ankommen lassen wollen, lassen wir es vorsorglich checken. Die mexikanischen Zahnärzte sind sehr gut ausgebildet, meistens haben sie in den USA studiert. Viele Amerikaner reisen für umfangreichere Zahnbehandlungen nach Mexiko, da die Behandlung hier mindestens gleich gut ist, aber nur halb so teuer. Im Behandlungszimmer ist alles vorhanden: Patientenstuhl, Lampe, diverse Bohrer und Schleifer, ein analoges Kleinbildröntgengerät, Mundschutz, Handschuhe, Waschbecken, Watteröllchen… . Dennoch wirkt es im Gesamtbild nicht so modern wie in Deutschland und abseits des Behandlungsstuhles nicht besonders klinisch rein. Daher bezeichnen wir die Ausstattungsvariante als „Basic“. Jorge begleitet uns und so sitzt Stephan im Behandlungsstuhl und wir diskutieren zu viert in dem kleinen Zimmer auf spanisch, englisch und deutsch über seinen Zahn. Die Anfertigung des Röntgenbildes ohne die für uns übliche Strahlenschutzweste kommt uns zunächst komisch vor. Doch nach späterer Recherche stellen wir fest, dass ähnliche Geräte auch in Europa genutzt werden und die Strahlendosis so gering ist, dass das Tragen einer Weste bei diesen Geräten eigentlich nicht nötig ist. Zur besseren Kommunikation und Übersetzung der Fachsprache zieht der Zahnarzt später seine englischsprechende Kollegin hinzu. Es diskutieren nun fünf Leute im Büro des Zahnarztes. Die finale Diagnose: Es ist eine Entzündung des Zahnes wegen zu viel Druckbelastung und sollte daher von allein wieder verschwinden. Es ist also keine Infektion die sich ausbreiten und schlimmer werden könnte. Durch Abschleifen des gegenüberliegenden Zahnes nimmt der Arzt Druck vom belasteten Zahn. Der insgesamt einstündige Zahnarztbesuch inklusive Röntgenbild und Beratung mit zwei Zahnärzten kostet uns 600 Pesos, also circa 35€.
 
Am Freitag hat Jorge frei (dafür arbeitet er sonntags) und so verbringen wir einen Tag mit ihm zum Sightseeing im Zentrum von Mexiko-Stadt. Wir beginnen mit der Plaza de la Constitucion, dem zentralen Platz der Stadt, einem der größten Stadtplätze der Welt. Hier findet sich der Sitz des Präsidenten von Mexiko im Nationalpalast, das Rathaus mit Sitz des Gouverneurs und des Stadtparlamentes von D.F. und die Kathedrale von Mexiko-Stadt, welche die größte Barockkirche der Welt ist. Wie an anderen Orten der Welt, zeigt sich auch hier der überflüssige Reichtum der Kirchen: das Innere der Kathedrale strotzt nur so von Blattgold, prunkvoller Verzierung und aller möglicher Handwerkskunst, sodass man Wochen damit verbringen könnte diese zu studieren. Die Spanier liebten es, als Zeichen ihrer Überlegenheit und zur Verankerung des Katholizismus im neu eroberten Land, ihre Kirchen und Paläste auf den eigens von ihnen zerstörten Städten der alten Hochkulturen aufzubauen. So geschah es auch hier mit der alten aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan, zur Zeit ihrer Entdeckung durch die spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert, eine der größten Städte der Welt. Glasfenster im Boden auf dem Vorplatz der Kathedrale mit Blick auf die Ruinenreste des alten Aztekenpalastes erinnern daran.
 
Auf dem Hauptplatz sind im Rahmen der Weihnachtszeit eine große Schlittschuhbahn und eine Eisrutsche aufgebaut, auf der man mit Gummireifen hinunterrutschen kann. Das ist kostenfrei und entsprechend lang ist die Menschenschlange davor. Wir laufen durch Downtown vorbei am Tower Latinoamerika, der eine ganze Zeit lang das höchste Gebäude Lateinamerikas war. Menschen in Kostümen von Comic- und Filmfiguren wie Spiderman und Transformer-Robotern stehen ähnlich wie auf dem Sunset Boulevard in LA herum und verdienen als Fotomotiv ihr Geld. Ansonsten ist das Downtown Viertel genauso spannend wie die Hohe Straße in Köln: ein Geschäft neben dem anderen, ohne besonderen Charme.
 
Vorbei am Palacio de Bellas Artes und dem Tequila Museum, vor dem sich zahlreiche Mariachis (traditionelle Musiker) tummeln und auf Aufträge warten, bewegen wir uns in Richtung des Stadtteiles Tlatelolco. Auf der Plaza de las Tres Culturas wurden hier im Jahre 1968, kurz vor Eröffnung der olympischen Sommerspiele in Mexiko-Stadt, zahlreiche Studenten während einer Demonstration von Polizei und Militär getötet. Die Opferzahl dieses Massakers wurde nie endgültig bestätigt, meistens wird die Zahl 300 genannt. Jorge erzählt uns etwas mehr über das Geschehen. Demnach hätten sich Polizisten unter die friedliche Studentendemonstration gemischt und das Feuer auf die Militärs und Präsidentengarde auf dem Hochhausdach eröffnet. Dabei haben sie als Erkennungszeichen weiße Handschuhe getragen, um nicht selbst erschossen zu werden. Darauf hin wurde zur „Gegenwehr“ von oben gezielt auf die Studenten geschossen. Viele der Anwohner des Hochhauses haben den Studenten Zuflucht in ihrer Wohnung gewährt und wurden somit bei der Razzia im Anschluss selbst Opfer von Verschleppung und Mord. Heute erinnern einige Graffitibilder an dem Hochhaus vor dem Platz szenenhaft an das Geschehen. Im nahegelegenen Museo de Sitio Tlatelolco besuchen wir eine Ausstellung und Gedenkstätte zu Geschehnissen. Schon länger gab es zu jener Zeit Studentenproteste gegen den Terror der Regierung und für bessere Studienbedingungen. Der Präsident Gustavo Díaz Ordaz ordnete den brutalen Niederschlag an, um für Ruhe während der Olympischen Spiele zu sorgen und somit ein friedliches Bild für Mexiko-Stadt nach außen tragen zu können. Dass auch heute noch Regierungen nicht davor zurückschrecken, ihre eigene Bevölkerung zum Wohle von internationalen Großevents zu unterdrücken oder sogar Tote in Kauf nehmen, haben die Olympischen Spiele in China und die FIFA Weltmeisterschaft in Brasilien gezeigt.
 


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