Oaxaca – Feste und Proteste

20.-26.12.2014
 
Bereits im Vorfeld, als wir Jorge und Roxana nur über Email und Facebook kannten, boten sie uns an uns über Weihnachten mit zu ihrer Familie nach Oaxaca zu nehmen. Das kam für uns etwas überraschend oder könnt ihr euch vorstellen, jemanden aus einem fremden Land, den ihr nicht kennt, über Weihnachten zu Eurer Familie einzuladen?
 
Wir fahren also am 20.12. in zwei Autos mit Jorge, Roxana, Jorges Mutti Veronica und seiner jüngeren Schwester Laura in den Weihnachtsurlaub. Die Bikes haben wir in Mexiko-Stadt bei Jorges Elternhaus unterbringen können. Unser erstes Ziel ist die Hauptstadt Oaxaca des gleichnamigen Bundeslandes. Am Nachmittag kommen wir an und checken in ein Hotel ein.
Wir machen uns auf zur Stadterkundung und stoßen bald an einer Straßenecke auf gepanzerte Landes- und Kommunalpolizei. Jorge zuckt nur mit den Schultern als ich ihn frage wofür sie hier sind. Er vermutet die Gegenwart von wichtigen Regierungsmitgliedern. Wir beschäftigen uns also erstmal auf dem anliegenden Markt mit dem Verspeisen von gerösteten Grashüpfern. Da es unser erstes Insekt ist, was wir gleich zerkauen werden, kostet es schon ein wenig Überwindung es in den Mund zu stecken. Mit dem Chili Gewürz ist es geschmacklich eigentlich in Ordnung, es ist eher der Kopf der sich bei dem Gedanken „Insekt“ querstellt, weil es so ungewohnt ist. In einer lauten, engen und überfüllten Markthalle essen wir zum Abendbrot ein Gericht mit Mole. Mole ist eine mexikanische Soße, die aus ungesüßter Schokolade, Chilis, Nüssen und weiteren Zutaten hergestellt wird und zu herzhaften Gerichten wie Fleisch und Gemüse gereicht wird.
 
Auf der Plaza im Stadtzentrum (dem Zocalo) stehen mehrere Campingzelte. Zuerst dachten wir hier wohnen Obdachlose, doch als wir immer mehr Zelte und dann auch die Plakate sehen wird es uns klar: der Platz ist von Demonstranten belagert, die auf die Ereignisse von Ayotzinapa aufmerksam machen und Handeln sowie Aufklärung seitens der Regierung fordern. Im September 2014 waren in der Kleinstadt im Bundesstaat Guerrero 43 Studenten von den Narcos (Drogenkartell) unter Mitwirkung der Kommunalpolizei entführt worden. Vermutlich sind sie ermordet worden und werden in ein paar Jahren in einem der Massengräber gefunden, die gelegentlich in Mexiko entdeckt werden. Hier in Oaxaca stehen nun Bürger, ausgestattet mit Holzlatten und wollen wissen, wo ihre Studenten, ihre Kinder, ihre Geschwister oder ihre Mitbürger sind. Auf Plakaten steht „Ayotzinapa, Crimen de Estado“ – „Ayotzinapa, Verbrechen des Staates“, an einer Leine hängen Fotos mit Namen und Alter jeder der 43 Studenten „Vivos los Queremos“ – „Wir wollen sie lebend“. Jetzt wissen wir auch warum die Polizei um die Ecke steht. Heute bleibt jedoch alles friedlich. Auf dem Platz tummeln sich Familien mit Kindern, Hochzeitsgesellschaften, Ballonverkäufer und viele andere Menschen.
 
Später am Abend werden wir Zeugen von lokalen Hochzeitsfeier-Traditionen. Nach der Trauung in der Kirche tanzen auf dem Vorplatz große Pappmaché Figuren, welche das Hochzeitspaar symbolisieren, und alle Gäste sowie natürlich die frisch Getrauten tanzen mit. Unter lauter Begleitung von Livemusik einer Kapelle ziehen sie weiter durch die Straßen. Davon sehen wir heute Abend gleich drei Züge. Bei einer der Hochzeiten bekommen wir vor der Kirche Santo Domingo (eine der Hauptattraktionen der Stadt) ein Feuerwerk geliefert, welches ein Ausschnitt von „Rhein in Flammen“ hätte sein können. Immer wieder werden neue Raketen in die Abschussvorrichtung gestopft. Die Abschussvorrichtung steht dabei nur unweit von der Menschenmenge entfernt, was in Deutschland mit Sicherheit so nicht erlaubt wäre. Angeheitert durch die fröhliche Stimmung schlendern wir weiter durch die Straßen Oaxacas, vorbei an Kunstwerkstätten, Tanzveranstaltungen, einem Opernfestival und einem katholischen Menschenzug. Wir sind überrascht von der Vielfältigkeit der Ereignisse die sich hier abspielen.
 
Den Abend lassen wir im Hotel mit einem traditionellen mexikanischen Spiel ausklingen, welches Veronica mitgebracht hat. Es nennt sich „Loteria“, funktioniert ähnlich wie Bingo, nur mit Bildern anstelle von Zahlen und ist somit für uns eine gute Möglichkeit unseren spanischen Wortschatz zu erweitern. Da unsere mexikanischen Freunde auch gerade Deutsch lernen, ist für einen lustigen Abend gesorgt.
Endlich ist es soweit, wir besuchen zum ersten Mal eine der zahlreichen Zonas Arqueológicos, damit werden in Mexiko die Ausgrabungsstätten der Ruinen von Pyramiden oder ganzen Städten aus präkolumbianischer Zeit bezeichnet. Nahe Oaxaca liegt auf einem Berg in 2000m Höhe die alte Zapoteken Hauptstadt Monte Albán, welche religiöses, politisches und wirtschaftliches Zentrum der Zapoteken war. Auf der 200x300m großen, von ihren Erbauern künstlich angelegten Plattform, stehen die fast 2000 Jahre alten Bauten, darunter Pyramiden, Wohnanlagen, Grabkammern, ein Observatorium, Tempel, ein Ballspielplatz und Skulpturen. Wir steigen auf eine der Bauten und haben von oben einen Überblick auf die alte Stadt, in der nach Erkenntnissen der Archäologen während des Höhepunktes der Macht im 5. und 6. Jhd. n.Chr. bis zu 30.000 Menschen lebten. Da wir uns auf einer Bergkuppe befinden, haben wir nicht nur Aussicht auf die Stadt, sondern auch auf die umliegenden Täler, was das Erlebnis für uns noch imposanter macht.
Auffallend ist eine Reihe von Steinen mit eingemeißelten Figuren. Diese Steine heißen Danzantes, was so viel bedeutet wie Tänzer, da man die Figuren anfangs als diese interpretierte. Nach neuer Auffassung stellen die Strukturen jedoch nackte Kriegsgefangene dar, die zum Teil entmannt wurden. Das was als Bewegung im Tanz gedeutet wurde, sind sich vor Schmerz krümmende Häuptlinge anderer Stämme, die hier während diverser Zeremonien gefoltert wurden.
Im angrenzenden Museum kann man Fundstücke von Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenständen dieser heutigen Weltkulturerbe-Stätte anschauen. Der Eintritt zur Anlage ist für mexikanische Staatsangehörige frei, Ausländer zahlen 59 Pesos (ca 3,50€).
 
Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, statten wir einem besonderen Baum, dem „El árbol del Tule“ einen Besuch ab. Haben wir im Sequoia NP in Kalifornien schon die größten Bäume der Welt gesehen, stehen wir nun vor einem weiteren der Größten: nämlich dem Dicksten. Die mehr als 2000 Jahre alte Mexikanische Sumpfzypresse misst 11,42 Meter im Durchmesser und hat einen Umfang von 54 Metern. Der Baum ist eingezäunt, kleine Kinder laufen als „Baumguides“ herum und zeigen den Touristen gegen Bezahlung bestimmte Figuren in Rinde und Baumstruktur. Wir lauschen nebenbei mit und bemühen uns den Hirschkopf, die Delfine oder sogar Angelina Jolies Knie zu identifizieren. Die zum Teil weit hergeholten Fantasien, für welche die Leute hier bezahlen, lassen schon fast Geschäftsideen für unsere Zeit nach der Reise aufkommen. Vielleicht können wir ja auch begeisterten Touristen einen Zeh von Madonna oder eine Augenbraue von Theo Waigel im Kreidefelsen auf Rügen zeigen.
 
Am Nachmittag fahren wir weiter nach Hierve el Agua. Dies ist ein Ort, der durch seine Naturschönheit verzaubert: zwei riesige versteinerte Wasserfälle stürzen in ein grünes Tal. Kohlensäure- und mineralhaltiges Wasser, welches mit 24°C aus einer warmen Quelle am Berg entspringt, hat über Jahrtausende diese beindruckenden Strukturen geschaffen, ein Effekt ähnlich dem der Entstehung von Stalaktiten. Oben auf der Plattform hat man etwas nachgeholfen und zwei kleine Schwimmbecken angelegt, die beinahe natürlich aussehen. Darin tummeln sich Liebespaare und Familien mit Kindern. Hinter einem der Planschbeckenränder, geht es steil hinab ins Tal, sodass die Badenden direkt aus dem Wasser einen herrlichen Fernblick haben. Von hier oben sehen wir auch einige Agavenfelder. Aus den Agavenpflanzen wird Mezcal, eine mexikanische hochprozentige Spirituose, zu der auch der in Deutschland beliebte Tequila gehört, hergestellt. Oaxaca ist die Ursprungsregion des Mezcal und seit Beginn der Kolonialzeit Zentrum für dessen Produktion. Während der Fahrt über das Land passieren wir zahlreiche kleine Mezcal Brennereien und Verkaufsläden, die verschiedenste Geschmacksrichtungen wie Kaffee, Ananas, Mango, Tamarinde und vielen weiteren anbieten.


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