Im Land der Maya – Nebaj und Todos Santos

30.03.-09.04. 2015
 
In Coban verbringen wir ein paar Tage und haben Zeit für verschiedenste Wartungs- und Reparaturarbeiten an Motorrad und Ausrüstung. So lassen wir in einer Blechschmiede den Koffer, der beim Sturz etwas verformt wurde, wieder gerade richten. Die beiden Jungs in der einfachen Werkstatt unterbrechen überraschenderweise sofort ihre Arbeit um sich dem Dengeln des Koffers zu widmen. Am Ende wollen sie weniger Geld haben als wir gedacht hätten und nehmen nicht einmal das Trinkgeld an, welches wir zusätzlich geben wollen. Die Bikes bekommen eine Handwäsche um sie von dem Schlamm zu befreien. Daniel und Stephan modifizieren die Position der Handprotektoren an Stephans Bike, um die Lenkerposition ergonomisch anzupassen. Der erste Versuch in Leon scheiterte, da rechte Protektor zu sehr auf die Schraube zum Bremsflüssigkeitsreservoir drückte. Dies hatte den Austritt von Bremsflüssigkeit zur Folge, was wir glücklicherweise recht schnell bemerkt hatten. Des Weiteren nähen wir uns Polstertaschen für die Kameras und erledigen allerlei Krims Krams. In der Zwischenzeit helfen wir Daniel bei den Dreharbeiten zu seinem Trailer für das Motorcycle Film Festival und so kommt es, dass Stephan während der Fahrt verkehrtherum auf meinem Rücksitz sitzt und Daniel beim Fahren von frontal filmt.
 
Hier in Coban haben wir auch das erste Mal auf der Reise Magenprobleme, doch diese sind nach einigen Tagen mit etwas Unterstützung von Pepto Bismol, der rosa-schleimigen Medizin zum Trinken, wieder verschwunden.
Nach den Tagen in der unspektakulären Stadt trennen sich vorerst die Wege von uns und den beiden anderen Motorradreisenden, mit denen wir seit Cancun unterwegs sind. Sie wollen nach Antigua zur Semana Santa fahren (Osterprozessionen) und hatten schon lange im Voraus ihre Unterkunft gebucht. Wir müssen noch etwas Zeit in Guatemala absitzen, damit uns das Paket mit den Umlenkhebeln noch erreicht. Daher fahren wir zunächst in den Nordwesten des Landes. Der Weg führt uns zunächst über eine 30 Kilometer lange Schotterpiste in die Berge und wir durchfahren dabei kleine Dörfer, die primitiver nicht sein könnten. Einfache Hütten, aus Holz und Wellblech gefertigt, stehen am Wegesrand. Der Fußboden in den Hütten ist simpler Erdboden, sodass wir uns ausmalen wie es hier wohl während der Regenzeit aussieht. Wie wir es schon vorher auch in Mexiko gesehen haben, wird die Wäsche zum Trocknen überall hingelegt, auf Dächer, den Boden oder über Stacheldrahtzaun. Hühner, Schweine und Hunde laufen scheinbar herrenlos über die Straße. Toilettenhäuschen bestehen aus Holzgerüsten die mit Folie zum Sichtschutz abgehangen sind. Kinder sitzen auf der Straße und räumen Steine umher. Sie wollen uns anhalten und fragen rufend nach Geld. Doch so Leid uns die Kinder auch tun, ist es besser nicht zu stoppen, da man hier in den abgelegenen Gebieten eben doch nicht weiß, ob noch jemand im Busch lauert. Abgesehen davon wissen wir nicht, ob die Kinder nicht sogar nur zum Zweck des Bettelns von ihren Eltern auf die Straße gesetzt werden. Hier Geld zu geben verschlimmert die Situation der Kinder nur noch.
 
Anschließend rauschen wir über eine überraschend gut asphaltierte und kurvenreiche Straße. Auch hier in der Gegend finden schon die Vorbereitungen für die Ostermessen statt. Auf den Straßen werden bunte Teppiche mit verschiedensten Motiven aus Blumen, gefärbten Sägemehl und Nadelblättern gestreut. Einige Straßen in den Dörfern sind dafür gesperrt, sodass wir immer wieder stecken bleiben und Umwege fahren müssen. Die Überlandstraßen führen immer direkt durch das Zentrum, über den vollen Marktplatz. Das ist zwar einerseits interessant, kann aber auch nervig werden, wenn wir in der Hitze vorankommen wollen.
 
Unsere Reise führt uns so in das Örtchen Nebaj. Von der Stadt sind wir zunächst nicht sonderlich beeindruckt, doch was wir auf dem Hauptplatz vor Kirche sehen, haut uns um. Der ganze Platz ist voll von traditionell gekleideten Mayas, die auf Bänken und Treppen herumsitzen und scheinbar auf etwas warten. Wir beobachten die Vorbereitung eines gigantischen Blumenteppichs, bei denen von jung bis alt alle mitmachen: mit Hilfe von Schablonen werden die bunten Muster ausgestreut.
Nach einiger Zeit findet plötzlich mehr Bewegung auf dem Platz statt: die Prozession geht los. Aus der Kirche kommt nun eine Menschenmasse geströmt. Die ganze Treppe ist plötzlich von Maya-Frauen überlaufen, die traditionellen Kopfschmuck und hübsche Gewänder tragen. In dem Moment haben wir Gänsehaut. Immer mehr Leute kommen aus der Kirche geströmt und wir können uns gar nicht entscheiden ob wir gucken und den Moment genießen, oder fotografieren sollen, um diese Eindrücke für später festzuhalten. Ein Luxusproblem, welches wir nicht zum ersten Mal auf der Reise haben.
 
Weiter unten in der Stadt ist ein Volksfest im Gange. Im Grunde ist es genauso wie auf einer deutschen Kirmes: Fahrgeschäfte, Spielbuden und Imbissstände. Nur hat alles einen etwas anderen Standard. Nachdem wir uns an der Imbissbude mit Pizza versorgt haben, steuern wir auf eines der beiden Riesenräder zu. Die Gondeln sind besetzt mit jugendlichen Mayas, fast alle traditionell gekleidet, ein für uns seltener Anblick. Ein kleiner Motor mit Schaltgetriebe bringt ein Stahlseil in Bewegung, welches sich um das ganze Riesenrad zieht und für die Rotationsbewegung sorgt. Warum fahren wir nicht mal `ne Runde mit? Gemütlich werden wir in unserer Sitzbank, die etwas an alte Skilifte erinnert, nach oben befördert. Von dort haben wir einen unvergesslichen Ausblick auf das Treiben auf der Festwiese, die Stadt und die Berge im Hintergrund, während die Sonne schon tief am Himmel steht. Als wir dann Fotos mit Kamera und Handy machen, geht es plötzlich rund. Wir nehmen Fahrt auf und bald sind wir nur noch darauf konzentriert unseren Kram festzuhalten. Es geht plötzlich so schnell und wir haben das Gefühl gleich zwischen Sitzbank und dem Sperrriegel hindurchzurutschen, wenn nicht vorher schon die gesamte Sitzbank abreißt. Ein Überschlag mit der Gondel scheint auch nicht mehr fern. Stephan krallt in der einen Hand die Kamera und in der anderen den Rucksack fest. Ich weiß nicht wie er es geschafft hat nicht rauszufliegen. Mit einer Hand konnte ich gerade so mein Smartphone festhalten, da es mir unmöglich war, dieses während der Fahrt wegzustecken und mit der anderen Hand musste ich irgendwie versuchen mich festzuhalten. Dann halten wir an und wir können uns wieder entspannen. Doch das war es noch nicht, wir nehmen wieder Fahrt auf, dieses Mal rückwärts. Als wir das erste Mal den obersten Punkt passieren, steht unsere Sitzbank für einen kurzen Moment fast waagerecht, sodass wir mit dem Gesicht auf den Boden schauen. Wir wissen nicht ob wir schreien oder lachen sollen. Wir überstehen die nächsten Runden und sind doch etwas erleichtert als wir wieder langsamer werden. Mit etwas schlotternden Knien, aber einem fetten Grinsen auf dem Gesicht, verlassen wir dieses rotierende Monster. Eigentlich hat es ja Spaß gemacht, hätten wir nicht das Misstrauen in die guatemaltekische Technik gehabt und hätten wir nicht unsere Sachen festhalten müssen.
 
In Huehuetenango haben wir einen Kontakt von Couchsurfing, der uns ein paar Tage bei sich wohnen lassen würde. Das Einbahnstraßenlabyrinth in der Stadt treibt uns fast zum Wahnsinn. Entweder darf man nicht da abbiegen wo man möchte oder erkennt gar nicht erst, dass es sich um eine Einbahnstraße handelt, da die Beschilderung fehlt. An einer zunächst normalen Straße mit zwei Fahrrichtungen landen wir fast im Gegenverkehr, da unsere Spur unscheinbar nach rechts abzweigt, was wir verpassen und uns dann plötzlich in einer zweispurigen Einbahnstraße in falscher Richtung bewegen.
Carlos, unser Couchsurfing Gastgeber empfängt uns freundlich und gibt uns unser eigenes Zimmer im Hinterhof. Er ist Bäcker und will demnächst sein eigenes Café im Innenhof aufbauen. Von Huehuetenango aus machen wir einen Ausflug in die Kleinstadt Todos Santos, die in den Cuchumantes Bergen liegt. Todos Santos, eine Stadt die dafür bekannt ist, dass auch die Männer in traditioneller Maya Kleidung unterwegs sind. In den meisten anderen Regionen tragen nur noch die Frauen typische Gewänder. Hier in Todos Santos haben alle Männer längs rot-weiss gestreifte Hosen an, dazu Hemden und Hüte, je nach Familienangehörigkeit mit einem anderen Muster. Für uns sieht das Stadtgeschehen eher wie eine grosse Zirkusvorstellung aus. Das Volk der Maya ist generell sehr fotoscheu. Wir fragen also Leute ob wir ein Portraitfoto machen dürfen, bekommen aber fast immer ein Nein zu hören. Da wir unser Teleobjektiv in Huehuetenango vergessen haben, können wir auch keine Szenen aus der Ferne aufnehmen. Die Stadt ist für guatemaltekische Verhältnisse recht reich, was wir an den üppig ausgebauten mehrgeschossigen Steinhäusern festmachen. Viele der Männer arbeiten in den USA und schicken Geld nach Hause. Nach ein paar Stunden umherlaufen haben wir genug und machen uns auf den Rückweg.
In Huehuetenango besuchen wir den zentralen Friedhof. So wie dieser aussieht, kann man ihn wahrlich als eine Stadt der Toten bezeichen. Es gibt hier keine bepflanzen Erdfleckchen, so wie wir es aus der Heimat kennen. In einer Betonwüste reiht sich Grabhäuschen an Grabhäuschen. In zum Teil mehreren Etagen werden die Särge eingeschoben und dann zugemauert. Jedes Haus sieht anders aus, ist bunt bemalt und oftmals hübsch verziert. In angemauerten Vasen können die Angehörigen frische Blumen einstellen. Einige der Häuschen haben sogar eine Art Vorraum, in dem Fotos und persönliche Gegenstände der Verstorbenen ausgestellt sind. Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich nicht nur das Leben in anderen Laendern verläuft, sondern auch die letzte Ruhestätte anders gestaltet ist.
 
Carlos und seine Freunde nehmen uns mit auf den Wochenmarkt. Hier zeigt sich wieder das Chaos von Zentralamerika: Warum findet der Markt dort statt, wo sich alle 5 Minuten große Busse zwischen den Obst- und Gemüseständen durchquetschen müssen? Das Gedränge ist gross genug und hier soll auch noch Platz für diese riesigen Monster gemacht werden, die einfach drauf zuhalten. Wir müssen ständig auf der Hut sein. In dem Getummel ersteht Carlos spontan ein kleines Zicklein, welches wir nach Hause tragen und dort erstmal mit warmer Milch versorgen.
Unser Aufenthalt in Huehuetenango verlängert sich, da wir die Chance haben ein Waisenhaus kennenzulernen und dieses über die Stiftung für Helfer unterstützen möchten. Carlos arbeitet dort als Freiwilliger und so fahren wir mit den Bikes dort hin. Einen Bericht dazu gibt es im nächsten Beitrag.
 
In Chichicastenango treffen wir uns wieder mit Joey und Daniel. In Coban hatten sich ja unsere Wege getrennt, doch da es irgendwie Spass gemacht hat, wollen wir noch eine Zeit lang gemeinsam weiterreisen. Ausserdem muss Daniel noch sein Trailerprojekt fertigstellen, bei dem wir ihm vielleicht etwas helfen können. Chichicastenango ist bekannt für den größten indigenen Kunst- und Handwerkermarkt Zentralamerikas, der immer donnerstags und sonntags stattfindet. Wir fragen uns wer das ganze Zeug kauft. Es gibt tausende Taschen, Textilwaren, Hemden, Armbänder und sonstigen üblichen Souvenirkram der für Touristen bestimmt ist, aber außer uns ist hier kaum jemand. Aufwendig aufgebaute Holzgerüste bilden das Konstrukt für die Stände. Lebendig wird es bei den für die Einheimischen interessanten Ständen mit Lebensmitteln wie Bohnen, Mais, Reis, Obst, Gemüse, Eiern und rohem Fleisch. Auch lebendige Tiere wie Hühner oder Schweine werden gehandelt.
 


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