Spanischunterricht und bedrohliche Begegnung

10. – 24.04. 2015
 
Auf dem Weg nach Quetzaltenango, auch Xela genannt, haben wir es wieder mit guatemaltekischen „Strassen“ zu tun. Unsere gewählte Route entpuppt sich als erdige Nebenstraße, welche hier arg unter Witterung leiden. Mein Vorderrad springt in den tiefen Spurrillen nur so hin und her. Besonders die Kombination aus Spurrillen, losem Untergrund, Steigung, Kurve und möglichem (rücksichtslosem) Gegenverkehr in Einem machen uns beim Fahren zu schaffen. Das Vorderrad unserer bepackten Teneres ist einfach viel zu leicht, worunter die Manövrierfähigkeit der Bikes erheblich leidet. Zugegeben bin ich froh, als wir nach einigen Kilometern wieder auf asphaltierte Strasse stossen, denn 40km auf solch einer Strecke hätten uns mehrere Stunden und viel Kraft gekostet, besonders in der Hitze.
 
Um unsere Spanischkenntnisse zu verbessern wollen wir in Xela einen Sprachkurs belegen. Diese Kurse werden in Guatemala günstig und vielfach in Verbindung mit einem Aufenthalt bei einer Gastfamilie angeboten, um das Lernen der Sprache zu intensivieren. Wir und die anderen beiden finden in Quetzaltenango jeweils eine Familie, bei der wir auch die Motorräder notdürftig parken können.
Stephan und ich kommen bei den beiden Brüdern Sergio und Diego, beide Anfang zwanzig, unter. Die Mutter ist gerade in den USA um die Schwester zu besuchen. Wir haben unser eigenes Zimmer und werden des Öfteren von den Katzen und Hunden besucht. Da die Schule erst am Montag losgeht, unternehmen wir mit Sergio und seiner Freundin einen Ausflug zu einem Vulkanberg, der sich „La Muela“ nennt. Nach einer Stunde Aufstieg erreichen wir die Spitze und haben einen grandiosen Aufblick auf die Stadt und die umliegenden Berge.
 
In den heißen Quellen der „Fuentas Georginas“ wollen wir am Sonntag entspannen. Die Fahrt in die Berge auf der Ladefläche eines Pickups führt uns vorbei an den Gemüsefeldern in Hanglage, wo gerade Möhren, Zwiebeln, Kartoffeln und anderes Gemüse geerntet werden. Der frische Duft trägt zu diesem Fahrerlebnis bei, bevor wir uns dann immer höher auf den Berg schrauben und in die Nebelfelder eintauchen. Oben wird es richtig kühl, sodass uns schon der Kopf weh tut, der die ganze Zeit dem Fahrtwind ausgesetzt ist. Das warme Bad können wir kaum erwarten. Die Idee zu diesem Ausflug hatten jedoch auch viele Einheimische, die hier zum Picknick mit ihrer Großfamilie herkommen. Die Pools waren daher so voll, wie unsere Freibäder an einem sonnigen Wochenende zu Beginn der Sommerferien und die Becken hatten nichts mehr Natürliches an sich. Etwas enttäuscht stehen wir ratlos herum. Schließlich erfahren wir von einem Pool etwas weiter unten im Wald und machen uns auf den Weg. Nach einer kurzen Wanderung finden wir das, wonach wir gesucht hatten. Mitten im Wald stoßen wir auf ein kleines Paradies: ein zwar auch künstlicher aber natürlich erscheinender Pool, gespeist von einem kleinen Wasserfall. Das warme Wasser ist wie eine Kur für den ganzen Körper. Das Wasser ist mit zum Teil mehr als 40 Grad Celsius allerdings so warm, das wir zwischendurch wieder raus müssen um Kreislaufprobleme zu vermeiden. Zurück bei unseren Familien verfallen wir in einen entspannten tiefen Schlaf.
 
Am Montag beginnt unser Unterricht. Wir haben jeweils fünf Stunden Einzelunterricht pro Tag mit einem eigenen Lehrer. Das ist hier so üblich um den unterschiedlichen Niveaus gerecht zu werden. Fünf Stunden Grammatik am Stück machen sich bemerkbar, am Ende sinkt die Aufmerksamkeitsspanne rapide. Nach einer Woche haben wir erstmal genug um unsere neuen Kenntnisse verarbeiten zu können. Wir bleiben aber noch eine Woche bei unseren Familien um diverse Dinge wie Reparaturarbeiten, Blog schreiben und Organisatorisches zu erledigen.
 
Um Aufnahmen für Daniels Kurzfilm zu machen, fahren wir zu viert in die Berge nach Totonicapan. Wir brauchen Actionaufnahmen von Kurvenfahrten mit dem Motorrad in schöner Landschaft. Daniel fährt, Joey, Stephan und ich positionieren uns mit unseren Kameras an verschiedenen Stellen an einer kurvenreichen Strasse. Nach einiger Zeit hält jemand mit seinem Kombi und fragt mich ob wir ein „Permiso“, also eine Erlaubnis zum Filmen haben. Da wir hier auf einer öffentlichen Strasse sind, denken wir nicht dass wir eine brauchen. Später, als Daniel gerade bei mir Stopp macht, hält wieder jemand an und fragt energischer was wir hier machen und ob wir eine Erlaubnis hätten. Ich denke zunächst, dass wir keine Menschen filmen sollen, denn wie wir wissen, sind die indigenen Völker sehr empfindlich was das angeht. Als ich dem unfreundlichem Typen auf dem Kameradisplay zeige, dass wir nur das Motorrad und die Landschaft filmen, ist er immer noch unzufrieden und beharrt auf der Erlaubnis. Der nächste Gedanke, der sich mir aufdrängt ist, dass hier sich hier vielleicht irgendwo ein Drogenkartell versteckt und wir daher die Landschaft auch nicht filmen dürfen. Der Mann sagt dann später er wolle jemanden anrufen und fährt weiter. Wir setzen erstmal die Aufnahmen fort. Dann kommt Daniel mit dem Bike zurück gefahren und ruft wir sollen alles zusammen packen und so schnell wie möglich wegfahren. Er sah wieder diesen Typen, der nun wirklich am Telefon hing und Joey berichtete von Aussagen eines anderen Mannes, dass hier Leute, welche für die Minen arbeiten umgebracht werden. Wir machen uns schleunigst aus dem Staub. Am nächsten Tag finden wir heraus was das Problem war.
 
Ich spreche mit meiner Spanischlehrerin über den Vorfall, in Spanisch versteht sich. Guatemala ist reich an Bodenschätzen, so auch Gold, Silber und anderen Erzen. Ausländische Firmen reicher Nationen, in diesem Fall Kanada und die USA, errichten hier Minen um diese Schätze zu fördern. Während in einheimischen Gebieten diverse Umweltbestimmungen eingehalten werden müssen, hat man in Guatemala bisher bei vielen Minen diesen lästigen Aufwand versucht zu vermeiden. Resultat ist, dass Wasser und Erde stark verschmutzt wurden und das in Gebieten, in denen Einheimische auf Wasser, Ackerbau und Viehzucht angewiesen sind. Frauen wurden unfruchtbar, Kinder blind geboren, Kinder bekamen Hautausschlag und andere Krankheiten, Nutztiere wurden unbrauchbar und die Trinkwasserversorgung war nicht mehr gewährleistet. Der eigene Staat ist keine Hilfe, also betreiben die Menschen Selbstjustiz. In Guatemala herrscht fast Straflosigkeit. Verbrechen werden nicht aufgeklärt. Mörder, Vergewaltiger und andere Verbrecher werden nicht bestraft. So ist es kein Wunder, dass die Bürger selbst handeln.
Wir sahen natürlich aus wie die Stereotypen von ausländischen Minen-Explorateuren und gerieten so unter Verdacht. Alle Erklärungsversuche nutzen nichts, das Misstrauen ist zu gross, die möglichen Konsequenzen für die Einwohner sind zu beängstigend. Wer kann es Ihnen also verübeln, dass sie uns drohen?
Die Gesellschaft Guatemalas ist bezüglich dieses Themas gespalten. Die Landbewohner fürchten die Krankheiten, die Stadtbewohner lockt das mögliche Arbeitsangebot. Politiker schnuppern Geld und tanzen wie Marionetten nach der Nase der Konzerne, auch wenn diese nur einen Bruchteil an Steuern und Abgaben an Guatemala zahlen, und lassen so ihr eigenes Land ausbluten. Zuerst werden Länder wie Guatemala durch angestachelte Bürgerkriege in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, um sie dann auf Grund ihrer aussichtslosen Schuldenlage in Abhängigkeit ihrer Gläubiger zu treiben. Man könnte es auch einfach Ausbeutung oder Versklavung nennen. Auch wir werden uns wieder bewusst, wie einige Nationen, so auch unser Heimatland, ihren materiellen Reichtum erlangen. Die Autos und natürlich auch die Motorraeder, mit denen wir herumfahren, könnten nicht ohne diese Materialen zu diesem für uns erschwinglichen Preis gebaut werden, wenn man sich nicht einfach die Bodenschätze anderer Länder für wenig Geld nehmen würde.
Trotz aller gut gemeinten Richtlinien und Firmen Policies finden sich Schlupflöcher und was der Unter-Unter-Unter-… Lieferant vom Endhersteller macht, kann ohnehin keiner mehr ernsthaft kontrollieren. Die Welt ist ungerecht, das wussten wir vorher schon. Uns wurde es nur nochmal direkt vor Augen geführt. Auch diese Reise finanzieren wir letztendlich durch so gewonnen Reichtum. Wir trösten uns, dass wir durch das Reisen wenigstens etwas von dem mitbekommen, was jeder von uns, mit seinem Hunger nach Autos, Elektronik-Spielzeug und sonstigem Luxus, anrichtet, wenn auch indirekt und oftmals unwissentlich. Wir hoffen, dass wir dies auch nach unserer Reise nicht vergessen werden.
 
Den Trailer, den Daniel erstellt hat und der einige Aufnahmen von diesem Tag enthält, könnt ihr hier sehen: https://youtu.be/Ol2PaTpbv34
 
In Xela treffen wir auf Greg aus den USA, der mit seiner 450er KTM in Zentralamerika unterwegs ist. Wir beneiden ihn zwar etwas um die Leichtigkeit seines Enduro Bikes, aber nicht um die Ölwechsel die er alle 1000 Kilometer macht. Am letzten Wochenende wollen wir gemeinsam mit Joey, Daniel und Greg einen Ausflug zur Laguna de Chicabal machen. In den letzten Kilometern scheitert das Vorhaben. Zunächst fahren wir die schlammige Straße bergauf, bis uns bewusst wird, dass die Piste so rutschig ist, dass wir Probleme haben werden, wieder hinunter zu kommen. Daniel ist so freundlich und dreht unsere Maschinen an dem Schlammhang um. Es ist so rutschig und steil, das wir bei Fahrt im ersten Gang unter Mithilfe der Motorbremse noch zu schnell wären. Um die Kupplung zu schonen schalten wir in den Leerlauf und versuchen mit sanftem aber konstantem Bremsen den Hang hinunter zu kommen. Diese Aktion sorgt für viel Anspannung, denn die Bikes kommen ständig ins Rutschen. Mehrmals habe ich das Gefühl mich gleich hinzulegen, als ich einige Meter weit mit versetzen Rädern über den matschigen Boden gleite. Die Erleichterung ist groß, als wir endlich wieder auf festeren Boden stoßen. Zum Glück sind wir nicht bis ganz nach oben gefahren.
Der Besuch eines Schokoladenlädchens mit Schokoladenfondue aus Maya-Schokolade und mit Früchten gibt unserem Aufenthalt in Xela einen schönen Abschluss.
 


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