In den Anden Ecuadors

04.-19.11.2015
 
Von den Tsáchilas aus fahren wir direkt zur Laguna Quilatoa, einem Kratersee eines inaktiven Vulkanes und finden uns plötzlich auf mehr als 3800m Höhe wieder. Der Höhenanstieg von mehr als 3000 Metern innerhalb eines Tages ist keine gute Idee, das wissen wir. Wir hoffen dass unsere Körper noch etwas durch die Zeit in Quito angepasst sind. Jede Bewegung am Kraterrand ist anstrengend und bald merken wir die Folgen der Höhe im Kopf. Der lilafarbene Sonnenuntergang und die aus der Ferne erklingende Musik einer Panflöte lassen uns jedoch die Kopfschmerzen etwas vergessen.
 
In der Umgebung der Lagune fühlen wir uns wie in ein anderes Land versetzt. Gerade noch aus dem Regenwald gekommen, befinden wir uns jetzt in der Bergwelt der Anden und treffen hier auf ein ganz anderes Volk. Die Menschen tragen sehr traditionelle, meist farbenfrohe Kleidung. Auf den Feldern sehen wir die Einheimischen mit einfachsten Mitteln arbeiten und Esel dienen ihnen zum Transport von Waren und Stroh.
Die Weiterfahrt durch die kurvigen Andenstraßen führt uns zu dem Örtchen Banos, welches nahe des aktiven Vulkanes Tungurahua liegt. Gelegentlich speit er Feuer, was den Ort spürbar zu einer Touristenhochburg macht. Da derzeit keine Aktivitäten vom Vulkan zu erwarten sind, legen wir eine Verschnaufpause ein und machen mal wieder zwei Wartungs- / Reparatur- und Schreibtage.
 
Am übernächsten Morgen haben wir es kurz nach der Abfahrt von unserem Camp im Wald, erstmals seit dem Vorfall in Alaska, wieder mit einer Reifenpanne zu tun. Zum Glück ist es nur das Vorderrad. Der vordere Reifen lässt sich deutlich einfacher von der Felge ziehen und montieren, als der des Hinterrades. Auch das nervige Wiedereinfädeln des Hinterrades in Kette und Abstandsbuchsen entfällt. Dennoch sind wir alles andere als erfreut, die soeben gesattelten Maschinen gleich wieder entpacken zu dürfen. Der Schlauch hat ein Loch, der Reifen zeigt jedoch keinerlei Einstich oder Beschädigung. Wir flicken den Schlauch und bekommen währenddessen Besuch: Ein Bauer treibt seine Viehherde direkt an uns vorbei. Esel, Schweine, Lamas, Ziegen, Schafe, Kühe – eine bunte Karawane. Der Bauer bleibt noch auf einen kurzen Plausch stehen und macht sich dann mit seiner kleinen Herde wieder auf den Weg.
 
Der Chimborazo zieht uns magisch an. Von weitem erblicken wir den schneebedeckten Berg und wir fühlen uns ein wenig an Alaska erinnert, doch die Agaven im Vordergrund holen uns wieder zurück nach Ecuador. Genau genommen blicken wir hier auf den höchsten Berg unserer Erde. Er übertrifft den Mount Everest um 2 Kilometer, wenn man vom Erdmittelpunkt aus misst und nicht vom Meeresniveau. Die Erde ist eben doch keine Kugel und ein Ort nahe dem Äquator ist weiter vom Erdmittelpunkt entfernt, als ein Ort der nahe einer der Pole liegt, wenngleich beide Orte die gleiche Höhe gemessen am Meeresniveau haben. Bleiben wir bei der für uns gewohnten Vermessung der Welt, ist der Chimborazo 6310 Meter hoch. Wir fahren so weit es möglich ist hinauf, überqueren dabei die Schneegrenze und enden auf 4850 Metern Höhe. Damit ist für uns beide und wahrscheinlich auch die Motorräder eine neue Höhenmarke erreicht. Es ist eisig kalt hier oben und der Wind tut sein übriges. Da ein Übernachtungsplatz in dem Refugio umgerechnet fast 30€ pro Person kosten würde, wollen wir uns lieber einen eigenen Campingplatz suchen. Dazu müssen wir allerdings wieder etwas an Höhe verlieren, damit die Nacht nicht allzu kalt wird und uns nicht die Höhenkrankheit ereilt. Wir finden abseits, nachdem wir einem steinigen und zum Teil sehr steilen Pfad folgen, auf circa 3500 Metern Höhe einen geeigneten Platz hinter einem verlassenen Häuschen, welches mal als Kommunikations- oder Wetterhäuschen gedient haben könnte, oder vielleicht auch noch dient.
 
Es ist nebelig, und durch die hohe Luftfeuchte und den Wind sehr kalt. Unter den Bedingungen und durch die Erschwernis durch die Höhe, dauert es eine Weile, bis wir unser Lager aufgeschlagen haben und endlich ein warmes Essen zubereitet haben. In einem kleinen Laden aus einem der Dörfer, die wir zuvor durchfahren haben, konnten wir eine Zwiebel, Möhren und Nudeln einkaufen. Daraus ließ sich ein einigermaßen genießbarer Nudelsalat zubereiten.
Als sich der Nebel zwischenzeitlich etwas lichtet, sehen wir eine kleine Herde Vicunas durch die Einöde ziehen. Bald wird es dunkel und etwas enttäuscht darüber, dass wir den Berg nicht mehr sehen konnten, legen wir uns mit allen warmen Sachen die wir haben ins Zelt. Wir schauen auf dem Laptop einen Film und nachdem dieser zu Ende ist, wagen wir nochmal einen Blick nach draußen: Oh Shit – es ist plötzlich sternenklare Nacht, der Chimborazo zeigt sich in seiner ganzen Pracht und nun müssen wir auch noch raus in die Kälte, um Fotos zu machen. Warum muss man diese Schönheiten auch immer gleich fotografieren? Etwas gequält holen wir das Stativ raus und begeben uns in die nächtliche Kälte. Die Stille, der Sternenhimmel und der majestätische Berg sind wahrlich beeindruckend. Die beißende Kälte treibt uns bald wieder ins Zelt und es wird gefühlt die bisher kälteste Nacht der Reise.
 
Nachdem unser Vorhaben den „El Altar“, eine Gipfelgruppe der Anden zu besuchen, wegen zu hohem logistischen Aufwand gescheitert ist, wird die Stadt Alausi unser nächster Anlaufpunkt. Sie ist bekannt für die Teufelsnase, den Teil einer Zugstrecke, die mit einmaligen Spitzkehren eine besonders steile Felswand erklimmt. Wir nehmen uns dort ein Zimmer und erledigen mal wieder allen möglichen organisatorischen Kram. Eine unserer Beschäftigungen ist es dabei, mehrere Päckchen mit US-Dollar-Notenscheinen in den Motorrädern zu verbauen. Diese brauchen wir später für Argentinien, wo ein US-Dollar doppelt soviel Wert hat, wie der Argentinische Peso. Dort auf einheimische Währung vom Geldautomaten angewiesen zu sein ist keine gute Idee.
 
Am Nachmittag des zweiten Tages in Alausi vernehmen wir von der Straße laute Musik. Als wir nach draußen blicken trauen wir unseren Augen kaum. Eine große Menschenmasse drängt sich auf der Straße. Unzählige indigene Gruppen, die sich alle in ihrer traditionellen Kleidung unterscheiden, haben sich versammelt und folgen einer Kundgebung. Wir stürzen uns alsbald ins Getümmel und bewundern die verschiedenen Trachten. Es sind hauptsächlich Frauen, die sich hier versammelt haben. Kleine Kinder mit vor Kälte rosa gefärbten Bäckchen werden von ihren Müttern auf dem Rücken getragen und alte Frauen mit sehr markanten Gesichtern kreuzen ebenso unsere Wege, wie kichernde junge Mädchen. Zum anderen bemerken wir aber auch den zum Teil unangenehmen Geruch, den einige hinter sich herziehen. Von verschieden Quellen wurde uns bereits vorher berichtet, dass sich die indigenen Frauen zur Verrichtung ihrer schnellen Notdurft an den Straßenrand setzen und der Rock dabei vor Blicken schützen soll. Der Vorteil fürs Auge ist hier der Nachteil für die Nase.
 
Kurz hinter der Stadt Cuenca holt uns die Reifenpanne wieder ein. Mein Vorderrad wird immer schwammiger und ich bin gezwungen am Rande der Hauptstraße stehen zu bleiben. Die Gegend hier sieht nicht allzu vertrauenserweckend aus, aber was soll man machen. Glücklicherweise finden wir etwas Hilfe bei Marco, dem Betreiber eines kleinen Cafés. Er bietet uns Hilfe mit seinem Kompressor an. Schnell ist die Ursache der erneuten Panne gefunden: Der Flicken hat sich gelöst, trotzdem wir ihn so sorgfältig angebracht haben. Ärgerlich, aber bald geht es wieder weiter. Eigentlich hatten wir schon lange Hunger und durch diese Panne hat sich die ersehnte Nahrungsaufnahme weiter verzögert. Hungrig wie die Löwen halten wir an einer Raststätte und schauen was es gibt. Etwas enttäuscht begutachten wir das Menü: Hühnerbeinsuppe und als Hauptgericht trockener Reis und Hühnchen. Da Hunger der beste Koch ist, bekommen wir es irgendwie runter.
 
So langsam geht unsere Zeit in Ecuador zu Ende. Einen letzten größeren Zwischenstopp planen wir in Loja, wo Paul, der Cousin von Andrés wohnt, unserem Freund aus Santo Domingo, den wir in Mindo kennengelernt hatten. Zufällig findet an diesem Wochenende ein „Motoencuentro“, also ein Bikertreffen in Loja statt. Dort treffen wir auch Paul und mal wieder auf viele neue Gesichter. Am Samstag findet eine große Ausfahrt zu einer auf einer Anhöhe gelegenen Windkraftanlage statt. Im dazugehörigen Gebäude findet sogar ein kleiner Vortrag statt, an dem den Bikern einige Eckdaten der neuen Anlage präsentiert werden. Nach diesem Bildungsprogramm geht es zurück in die Stadt, wo es ein großes Fest mit Essen und Musik gibt. Die Musik ist allerdings so extrem laut, das wir es nicht lange aushalten und frühzeitig verabschieden, um nicht taub zu werden. Typisch Lateinamerika. Ich hatte ohnehin schon
Magenkrämpfe, die nun immer schlimmer werden. Den Rest des Tages verbringen wir daher im Zimmer. Die Hühnerbeinsuppe ist für mich die Hauptverdächtige der möglichen Ursachen.
 
Wir machen uns auf den Weg nach Peru. Aufgrund der Ansage von starken Regenfällen und der Meldung unserer beiden kanadischen Freunde, dass sie wegen schlammiger Piste umkehren mussten, haben wir die Idee über Vilcabamba zu fahren verworfen und uns doch für den einfacheren Weg über Macara entschieden. Letztendlich war das gut so, denn kurz vor der Grenze nach Peru treffen wir auf zwei andere Motorradreisende, mit denen wir noch viel Zeit verbringen werden: Die beiden Kolumbianer Manuel und Mateo. An einer Tankstelle kommen wir mit den beiden ins Gespräch. Sie reisen mit einer 250er Ténéré und einer 200er Pulsar, haben zweckentfremdete Kleidung, die sie als Motorradschutzkleidung nutzen und reisen mit niedrigstem Budget. Nach einem ersten Beschnuppern ist schnell vereinbart, dass wir bis zur Grenze gemeinsam fahren und dort erstmal Abendbrot essen. Auch wenn wir bisher immer bemüht waren, möglichst viel Kontakt mit den Einheimischen zu haben und Touristenabsteigen zu vermeiden, bringen uns die beiden noch näher ans Geschehen. Sie haben mit ihrer Muttersprache ganz klar einen Vorteil und wissen genau wie sie mit den Leuten hier reden und verhandeln können. Und verhandeln tun sie wirklich um jeden Cent. Da bleibt auch kein Geld für Unterkünfte und wenn wir uns schon für sparsam halten: die beiden suchen solange, bis sie eine möglichst kostenfreie Unterkunft gefunden haben. Am Ende des Tages landen wir also in einer Polizeistation. Gern überlässt man uns einen der wenigen Räume des Quartiers, in denen wir unser Zelt aufschlagen dürfen. Im Hof stehen jede Menge beschlagnahmter Motorräder und einige erschreckend kaltverformte Unfallfahrzeuge. Natürlich gibt es in der Zelle im Hof auch einen Häftling und ein wenig Drama, als seine Verwandten vorbeischauen. Argwöhnisch beäugt er uns und wir beäugen ihn ebenso argwöhnisch, denn auf dem Weg zum Bad müssen wir immer an seiner Zelle vorbei.
 
Bei Anbruch der Dunkelheit kümmern wir uns etwas entnervt um den erneuten Platten. Gerade so bin ich nämlich auf die Polizeistation gerollt, bevor die Luft mal wieder raus war. Was ist denn da los, warum hält der sch…ß Flicken nicht, sind wir zu doof oder ist der Kleber schlecht?
Hoffentlich hält es diesmal, denn morgen geht es nach Peru und der Nordwesten des Landes ist nicht gerade der sicherste Teil.
 
Der Grenzübergang am Morgen ist wie immer in Lateinamerika von längerem Warten sowie Hin- und Herlaufen geprägt, aber letztendlich klappt alles reibungslos. Nun sind wir mit zwei Kolumbianern in Peru unterwegs.
 


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