Ecuador – Leben im Bambushaus

09.09.-25.09.2015

Das erste Erlebnis in Ecuador ist nicht so schön: In einer kleinen Stadt hinter der Grenze passiert etwas, worauf ich gerne verzichtet hätte. Wie überall in Lateinamerika gibt es hier viele Hunde die auf den Straßen herum laufen. Schon oft haben wir entsprechende Unfallopfer mehr oder weniger erkenntlich am Wegesrand liegen sehen. Kurz vor mir läuft ein größerer Hund auf die Straße. Ich bremse ab und hupe, er schaut mich noch an, gerät dann in Panik, wechselt zweimal die Richtung bis er schließlich über die Gegenspur rennen will. In dem Moment kommt ein Taxi und rammt den Hund mit circa 40 km/h genau vor meinen Augen in voller Breite. Ich höre einen furchtbaren Knall, ein kurzes Jaulen, und sehe wie der Körper des Hundes an der Stoßstange aufprallt und sich sein Körper verformt. Er ist sofort tot und bleibt am Straßenrand liegen, während das Taxi langsam weiterfährt. Den ganzen Tag kann ich an nichts anderes mehr denken.
 
Von der kolumbianischen Grenze aus fahren wir über die E10 gen Westen. Der Weg führt uns zunächst durch einen Canyon und bergiges Gebiet mit spärlicher Vegetation, bis wir plötzlich durch dichten Regenwald fahren. Die Straße ist bestens asphaltiert und schlängelt sich mit sanften Kurven durch den Wald. Auch der frische Waldgeruch und der wenige Verkehr tragen zu einem schönen Fahrerlebnis bei. Immer wieder kommen wir an kleinen Holzhütten, die wegen den vielen Regenfällen hier oftmals auf Stelzen stehen, vorbei. Sie wirken zum Teil sehr ärmlich was den baulichen Zustand des Hauses angeht. Die Nähe zur Natur, die Ruhe und der Freiraum sind Dinge, die die Bewohner jedoch vermissen könnten, wenn sie in die Stadt ziehen. Die feuchte Hitze ist für uns allerdings erdrückend, umso besser schmeckt der frische Obstsalat den wir am Straßenrand kaufen können. Wir probieren auch verschiedene Riegel aus einer Kokosmasse, die extrem gut schmecken und uns neue Energie bringen.
 
Unser erstes Ziel in Ecuador ist ein Bambushaus in dem kleinen verschlafenen Surfer-Örtchen Mompiche. Wir haben es über „Workaway“ gefunden, einer Plattform für Freiwilligenarbeit. Wir bieten also unsere Arbeitskraft für ein paar Stunden in der Woche an und bekommen dafür die Unterkunft gestellt. Es ist ein Volltreffer. Nancy ist unsere Gastgeberin, von den Dorfbewohnern wird sie „Sirena“ genannt, was auf Deutsch „Meerjungfrau“ bedeutet. Die 60-jährige Kalifornierin hat sich hier in Mompiche ihren Traum erfüllt: Sie hat sich ein Bambushaus nach ihrem eigenen Entwurf bauen lassen und wohnt nun darin. Das Haus ist aufgebaut wie eine Hochzeitstorte: 5 Ebenen bauen immer kleiner werdend aufeinander auf. Bis auf ein Fundament aus Stahlbeton und den Böden aus Holzbrettern, ist die komplette Konstruktion aus Bambusrohren gebaut.
Im Erdgeschoss liegen die restlichen Bambusrohre auf dem Sandboden, neben denen wir unsere Motorräder zum Parken halb im Sand versenken. Die erste Etage ist eine große Fläche, die noch ungenutzt ist und die sie später zur Veranstaltung von Workshops und Tanzstunden nutzen möchte. Darüber findet sich der Wohnbereich mit Küche, Bad und Hängematten. Wir dürfen in die dritte Etage einziehen, welche aus einem Zimmer mit einem Doppelbett besteht. Ganz oben, in der vierten Etage befindet sich die sogenannte „Honeymoon“ Suite – ein circa 15 Quadratmeter großes Zimmer, mit 360 Grad Ausblick, welches Sirena als Schlafzimmer benutzt. Von hier kann sie sowohl über den Regenwald blicken als auch über das Dorf und das Meer. Dies ist ein einzigartiger Wohnort.
 
Das Haus ist ab der ersten Etage nach allen Seiten hin offen, es gibt keine Außenwände, nur ein paar Fensterläden, die man als Regenschutz herunterklappen kann, um das Hausinnere vor Regen zu schützen. Es ist hier im ganzen Jahr in der Gegend immer ausreichend warm, sodass hier niemand frieren muss. Der Begriff „Heizung“ dürfte den Einwohnern hier ein Fremdwort sein. Sowie das Haus selbst, ist auch der Großteil der Inneneinrichtung aus dem Riesengras gefertigt: Innenwände, Betten, Kleinmöbel, Spiegel, Treppen, Regale etc. Türen gibt es nicht. Es ist definitiv ein inspirierender Wohlfühlort. Ein paar kleine Schattenseiten gibt es dennoch: Im Haus gibt es so gut wie keine Privatsphäre. Da es keine Räume mit vier Wänden und Fenstern gibt, gibt es auch keine Schalldämmung. Man bekommt immer mit, was der andere macht. Das Bad befindet sich in einer Nische um die Ecke, jedoch ebenfalls ohne abschließbare Tür. Sobald sich jemand im Haus bewegt, spürt man dies durch Schwingungen. Selbst als wir abends im Bett liegen, spüren wir es, wenn die Katze eine Etage tiefer von der Bank auf den Boden springt. Bei einem Erdbeben hat dies allerdings Vorteile. Die Energie wird durch die Schwingungen abgebaut, Bambushäuser gelten bei richtiger Konstruktion als sehr erdbebensicher.
 
Gleich am ersten Abend hat uns allen der alte Gaskocher einen kleinen Schrecken eingejagt. Wir saßen in gemütlicher Runde, als es plötzlich knallt und blitzt und wir das Gerät in Flammen aufgehen sehen. Ähnlich wie beim Holzhaus ist Feuer ein natürlicher Feind des Bambushauses. Mit Decken versuchen wir es zu ersticken, doch es hört nicht auf. Erst als es jemand schafft die Gasflasche zuzudrehen, können wir das Feuer besiegen. Nun sehen wir auch den geschmolzenen Gasschlauch, der am halb verrosteten Gaskocher klemmt und aus dem die Stichflamme herausgeschossen kam. Das sieht alles wenig vertrauenserweckend aus, vor allem wenn man von deutschen Standards verwöhnt ist. Unserer Gastgeberin wurde vor ein paar Tagen die Gasflasche geklaut. Daher hat sie sich neben einer neuen Gasflasche auch ein neues Ventil und einen Schlauch kaufen müssen. Wir verdächtigen zunächst den Schlauch, doch in dem kleinen Eisenwarenladen des Dorfes stellt sich am nächsten Tag heraus, dass sie ein Ventil für den Industriegebrauch gekauft hatte. Bei dem viel zu hohen Druck hat sich dann der Schlauch verabschiedet. Nachdem wir das Ventil getauscht haben, gab es zumindest während unseres Aufenthaltes keine weiteren Zwischenfälle mehr. Ein großer schwarzbrauner Fleck über dem Herd wird allerdings noch länger an diesen Vorfall erinnern.
 
Wir fragen Sirena wobei wir ihr in den nächsten Tagen helfen können, um uns unsere besondere Unterkunft auch zu verdienen. Sie sagt wir sollen uns erstmal entspannen von der Fahrt mit unseren „Raumschiffen“ und lädt uns zu einer Partie Domino ein. Domino ist ihr Lieblingsspiel, welches sie mit jedem Freiwilligenarbeiter hier spielt. Nun wird uns auch klar, nach welchem Prinzip die Herrenrunden auf Kuba gespielt haben. Während man das einfache Domino aus den eigenen Kindertagen nur als Aneinanderreihen gleicher Augenzahlen kennt, muss man sich bei hiesiger Spielweise mit taktischem Überlegen etwas mehr anstrengen. Das Spiel will ich nun hier nicht erklären, es sei nur gesagt, dass in den nächsten zwei Wochen so einige Runden folgen, da Sirena besonders morgens nach dem Frühstück nach spielwilligen Opfern sucht. Stephan hat sich meistens erbarmt, während ich im Hängesessel ein Buch nach dem anderen verschlungen habe. Manchmal war es dann plötzlich schon mittags. Aber das stört ja auch keinen hier.
 
Eigentlich wollten wir bei dem Projekt lernen, wie man mit Bambus bauen kann, doch derzeit steht kein brauchbares Werkzeug zur Verfügung. Nachdem sich das Kreissägeblatt der alten Maschine beim ersten Verschnitt eines Bambusrohres im Rahmen verkeilt, suchen wir uns lieber Tätigkeiten, bei denen wir keine Gliedmaßen verlieren können. Sirena hat ohnehin eine andere Aufgabe für uns. In naher Zukunft muss der Bambus des ganzen Hauses imprägniert werden. Es wurde leider versäumt vor dem Hausbau die Rohre entsprechend zu behandeln, da alles schnell gehen musste. Die günstigste Variante ist nun die Behandlung mit Diesel. Jawohl, Diesel. Die berühmte andere Seite der Medaille kommt ans Licht. Damit das Mittel gut einziehen kann, muss der Bambus von seiner rauen Oberfläche befreit werden. Mit feiner Stahlwolle bewaffnet, eine Schleifscheibe gibt es leider nicht, machen wir uns ans Werk. Das was wir von der Oberfläche entfernen sind fiese, auf der Haut Juckreiz erzeugende feine Partikel, die auch noch schön in der Kleidung hängen bleiben. Stephan zieht sich einen tiefen Schnitt in den Finger, als er versucht, die gröbere Stahlwollknolle in kleinere Portionen zu zerlegen. Zum ersten Mal kommt nun unser Erste Hilfe Paket zum Einsatz. Mit zwei Pflastern ist das erstmal erledigt und die Wunde heilt zum Glück schnell wieder zu. Ein sauberer Schnitt. Nach der Reinigung kommt jedoch die Belohnung: Der Bambus fühlt sich geschmeidig glatt an und auch optisch merken wir den Unterschied. In den nächsten Tagen schrubben wir also täglich ein paar Stunden das Haus mit Stahlwolle.
 
Mittags verschlägt es uns meistens ins „Kiwis“, einem kleinen Restaurant in dem es jeden Tag ein anderes Mittagsmenü von gesunder Küche mit Suppe, Hauptgericht und Getränk für $3,50 gibt. Typischerweise gibt es in Ecuador Reis mit Hühnchen oder Fisch. Im „Kiwis“ versucht die Köchin jedoch den Speiseplan mit Gemüsegerichten etwas aufzuwerten.
 
Ab und an bekommt Sirena Besuch von Adam. Er ist ein ehemaliger „Flight Officer“ aus Florida und verbringt hier ein paar Monate mit „Housesitting“. Die eigentliche Hauseigentümerin ist längere Zeit verreist, Adam passt auf ihr Haus auf und darf so kostenlos bei ihr wohnen. Auch Pinar und Sophie, die beiden „Zigeuner-Hippie“ Mädchen, wie sie sich selbst in ihrem Reise-Blog nennen, kommen gelegentlich vorbei. Es wird also nie langweilig. Mit Adam und den beiden Mädels unternehmen wir einen Ausflug zum schwarzen Strand. Dieser heißt so, weil der Sand dort nicht wie üblich weiß oder braun ist, sondern tiefschwarz. Der Sand ist extrem fein, sodass er wie Schlamm auf der Haut haftet. Entsprechend sehen wir dann aus.
 
Auf dem Rückweg nach Mompiche kommen wir am Strand an einem kleinen Tierreservat vorbei. Eine Frau nutzt hier ihr Grundstück, um herrenlosen oder ausgestoßenen Haustieren ein zu Hause zu geben. Etliche Hunde und Katzen, die zum Teil sehr verwahrlost aussehen, teilen sich hier den Platz. Die Frau versorgt diese Tiere und lebt dabei selbst sehr einfach. Die Szene erfüllt mich einerseits mit Traurigkeit, andererseits auch mit Ehrfurcht vor solchen Menschen, die sich so um andere Wesen kümmern und dabei selbst zurückstecken.
 
Wir bekommen Besuch von Freunden, die wir unterwegs kennengelernt haben. Da ist zum Beispiel Ingo. Ihn hatten wir bereits in den USA, Guatemala und Kolumbien getroffen. Er ist auch Motorradreisender, kommt aus Potsdam und ist, mit einem längeren Zwischenstopp zum Arbeiten in Australien, schon seit 4 Jahren auf seiner Tenere unterwegs. Einige Tage später kommen uns Les und Catherine besuchen, die beiden Kanadier, die wir schon auf der Stahlratte getroffen haben. Die beiden reisen ebenso langsam wie wir. Trotz ihren Alters (55 & 65), machen sie eine gute Figur auf den beiden Kawasaki KLRs und scheuen sich vor keinem Abenteuer.
 
So verbringen wir einige entspannte Tage in Mompiche, leben im Bambushaus, schrubben Bambusrohre, spielen Domino, lesen Bücher, treffen uns mit unseren Freunden und genießen den Dschungel um uns herum. Bei einem Ausflug sind wir im Dschungel auf Brüllaffen und viele Spinnen getroffen und wissen nun auch wie frische Kokosnüsse schmecken.
 
Bei einer Einheimischen lernen wir, wie man aus Kakaobohnen Schokolade macht. Zunächst rösten wir die frischen Bohnen in einer gusseisernen Pfanne über dem Feuer. Circa eine halbe Stunde lang müssen die Bohnen ständig umgerührt werden, damit sie nicht anbrennen. Dabei müssen wir die Augen zukneifen, da uns der scharfe Rausch des Feuers Tränen in die Augen treibt. Im Anschluss schälen wir die heißen Bohnen per Hand, eine langwierige Arbeit. Es riecht so gut, dass ich doch mal eine kosten muss. Der reine Kakao schmeckt einerseits bitter, doch das Kakaoaroma ist unbeschreiblich gut.
Der letzte Schritt ist das Mahlen der geschälten Bohnen, denen nach Belieben Gewürze wie Vanillestangen oder Zimt beigemengt wird. Das Mahlen erfolgt per Hand mit einer Kakaomühle (das Gerät sieht einem Fleischwolf ähnlich), die mit einer Schraubzwinge am Tisch befestigt wird. Das Gerät ist wahrscheinlich schon Jahrzehnte alt und will nicht mehr so richtig am Tisch klemmen, was die ohnehin schon schweißtreibende Aktion noch erschwert. Doch das Ergebnis lohnt sich. Wir sind erstaunt, was für eine ölige Masse aus den so trocken erscheinenden Bohnen entsteht. Das Ergebnis kann sich sehen und schmecken lassen. Es ist natürlich immer noch purer Kakao und schmeckt im Vergleich zur Tafelschokolade sehr bitter. Doch als Heißgetränk schmeckt es super und unsere Geschmacksnerven haben mal wieder ein ursprüngliches und natürliches Aroma wahrnehmen dürfen.
 
Auf der Hauptstraße des Dorfes befindet sich eine „Open Air“-Möbelwerkstatt. Der Bambus-Handwerker Alejandro baut hier gemeinsam mit seinem argentinischen Praktikanten Betten und Kleinmöbel aus Bambusrohren. Wir verfolgen einige der Arbeitsschritte aus denen die Stücke aus dem Riesengras entstehen. Kreissäge, Stichsäge und Trennschleifer sind wichtige Werkzeuge. Gemessen wird mit dem Metermaßband, angerissen mit Schablone und Bleistift. Das Zusammenfügen der Teile erfolgt nach mehrmaligem Anpassen durch Bearbeitung mit der Stichsäge. Ein deutscher Arbeitsschutzbeauftragter hätte hier seine wahre Freude: spanende Verarbeitung ohne Schutzbrille, die nackten Füße mit Flipflops bekleidet und die Kabel der Elektrowerkzeuge wild durcheinander… Die Produkte jedenfalls können sich sehen lassen: Sie sind einfach aber funktional und sehen ästhetisch aus. Bis auf die verwendeten Schrauben, wächst das Material dazu einfach aus dem Boden.
 
Im Nachbargrundstück von Sirenas Bambushaus wohnt leider ein geistig Verstörter, der stundenlang Musik in Diskothekenlautstärke hört. Die Hütten hier haben weder Fenster noch Türen, das Bambushaus ist ohnehin nach allen Seiten offen, sodass wir die Beschallung ungefiltert ertragen müssen. Leider sogar nachts um eins. Wir fragen Sirena warum sie oder kein anderer der Nachbarn sich beschweren. Scheinbar will niemand Ärger mit diesem Kerl haben und so bleibt uns nichts anderes übrig, als noch ein paar weitere Nächte mit Latino-Mucke in gefühlten 120 Dezibel Lautstärke zum Einschlafen zu hören. In Ecuador gibt es zwar keine Gartenzwerge, aber andere Nachbarschaftsproblemchen.
 
Mompiche lebt von der Fischerei und immer mehr auch vom Tourismus. Einige kleine Cafés, Bars und Hostels sind bereits vorhanden. Es fühlt sich etwas so an, als wäre das Örtchen noch ein Geheimtipp. Sirena meinte jedoch, während der Surfer-Saison ist der Ort schon kaum wiederzuerkennen, da dann abends auch die Nebenstraßen mit partywütigen Urlaubern gefüllt sind. Wir waren glücklicherweise außerhalb der Saison hier. Für uns lag der Charme neben dem tropischen Flair eher in der Einfachheit und Ruhe, aber damit könnte es bald vorbei sein, wenn der Ort ganzjährig gut besucht ist. Man sagt, Mompiche wird in Zukunft zu einem Surfer- und Backpacker-Partyparadies heranwachsen. Für die Einwohner ist dies immer Fluch und Segen zugleich. Mit den Touristen können sie Geld verdienen, allerdings verkaufen sie auch immer ein Stück von sich selbst.
 
Nach zwei Wochen Wohnen im Bambushaus bepacken wir wieder unsere Motorräder und verabschieden uns von Sirena. Wir hatten eine sehr schöne Zeit hier und haben mal wieder eine ganz andere Art zu Leben kennen gelernt.
 


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Stahlratte

17.-20.07.2015
 
Ein neuer Kontinent wartet auf uns. Der Urwald zwischen Panama und Kolumbien ist für Motorradfahrer nahezu undurchdringlich, da es nicht einmal eine Schotterpiste hindurch gibt. Dessen Durchquerung mit dem Motorrad ist zwar schon Leuten geglückt, doch gleicht dieses Unterfangen eher einer extremen Expedition, auf der man sich auf die Begegnung mit bewaffneten Guerillas einstellen müsste. Vor zweieinhalb Monaten, in San Salvador, hatten wir bereits unsere Mitfahrt auf dem Segelboot gebucht. Nun sind wir soweit, um Zentralamerika zu verlassen und machen uns auf den Weg zum Ankerplatz der Stahlratte.
 
Wir quälen uns durch den Stau in Panama City. Die letzten 35 km fahren wir über die bisher beste Achterbahnstraße, die wir je gefahren sind. Die mittlerweile fast vollständig asphaltierte Straße durch den Regenwald, ist zum Teil so steil, das man diese Abschnitte nur mit einem Allradfahrzeug oder eben einem Motorrad bewältigen kann. Auf dem Bike hoffen wir nur, das wir bei der Steigung nicht wegen Gegenverkehr anhalten müssen.
 
Am Eingang des Reservates der Kuna-Indianer müssen wir die Kuna Tax (Steuer) bezahlen: stolze $23 werden pro Person verlangt. Dann endlich, nach weiterer Fahrt durch den Dschungel, erreichen wir das Meer und da liegt sie, die Stahlratte.
Sie ist ein mehr als 100 Jahre altes Segelboot und wird noch als „echtes Piratenschiff“ anerkannt. 1903 wurde der Zweimaster in einer holländischen Werft erbaut. Der Rumpf besteht aus genietetem Stahl, ist 38,5m lang, 6,6m breit und hat 2,8m Tiefgang. Betrieben wird die Stahlratte heute vom Verein zur Förderung der Segelschifffahrt, hat ihren Heimathafen in Bremerhaven und derzeit einen deutschen Kapitän namens Ludwig (genannt Lulu). Das Schiff hat schon viel von der Welt gesehen. Derzeit konzentrieren sich die Törns auf die Karibik mit Überfahrten zwischen Panama und Cartagena, Kuba, Jamaika und Belize. Kurze Zeit vor unserem Trip gab es einen Schaden am Zylinder, der jedoch in Kuba vorübergehend behoben werden konnte. Wir freuen uns schon seit dem Tag der Buchung auf dieses Abenteuer.
 
Wir sind die ersten der 12 Biker die mitfahren und warten am Steg auf die anderen. Les und Catharine, die beiden Kanadier, die wir bei Cancun zum ersten Mal getroffen hatten (NoAgendaWorldTour), begrüßen wir als erstes. Mit Mitte 50 und Mitte 60 sind sie auf eine Motorradweltreise aufgebrochen, Respekt! Bis auf Joey und Daniel, die auch mitfahren, kennen wir die anderen noch nicht. Es kommen noch Ben, Eli und Patrick aus den USA, Thomas mit seinem Elektrobike aus Polen, sowie Matt und Heather aus Australien und Kanada hinzu. Den beiden sind wir sogar schon einmal kurz in El Salvador über den Weg gelaufen, damals ohne Motorräder. Sie sind beide leidenschaftliche Surfer und transportieren ihre Surfboards seitlich am Motorrad. Das ist natürlich ein Hingucker und wir rätseln schon wie gut man damit fahren kann. Matt hat zusätzlich noch einen Anhänger hinten dran, um die Neoprenanzüge und weitere Ausrüstung zu transportieren. Es ist interessant zu sehen, wie andere Leute reisen und was es für verrückte Ideen gibt.
 
Nun aber zum Boarding: es gibt weder eine schöne Anlegestelle am Ufer noch eine Rampe an Board, um mit den Bikes auf das Schiff fahren zu können. Die Stahlratte legt also seitlich am Steg an und jedes Motorrad wird mit einem Seilzug von der Stahlratte an Deck gehoben. Das geht mit vereinten Kräften überraschend schnell und bald stehen neun Bikes sicher an Board. Es fehlen noch Joey und Daniel sowie Thomas mit dem Elektrobike. Wir machen uns langsam Sorgen um unsere Freunde, als sie mit fast zwei Stunden Verspätung doch noch ankommen. Gerade heute wurden sie von einer Polizeikontrolle aufgehalten.
 
Damit wir der 3-köpfigen Crew beim Verzurren und Abdecken nicht im Weg rumstehen, werden alle Passagiere mit einem Motorboot auf eine der nahegelegenen Kuna Inseln gefahren. Das ist Teil des ersten Tages und normalerweise hätte genug Zeit sein sollen, um diese kleine Karibikinsel zu erkunden und baden zu gehen. Leider wurden wir erst gegen 16:30 auf die Insel gebracht, sodass wir fast nichts mehr von dem Aufenthalt dort hatten. Dazu kam, dass sich die Kuna den Aufenthalt auf ihrer Insel, die scheinbar als Touristenauffangstation gedacht ist, teuer bezahlen lassen. Wir hatten also keine andere Wahl, als zähneknirschend die $30 pro Person hinzulegen. Das war mit Abstand die teuerste Übernachtung unserer ganzen bisherigen Reise. Auf der kleinen Insel gibt es nichts außer dieser Unterkunft und eine Landebahn. In weiter Entfernung liegen die Inseln, auf denen die Einheimischen tatsächlich wohnen. Wir denken uns unseren Teil und vermuten, dass die Stahlratte diesen Deal eingehen muss, um sich die Anlegestelle im Kunagebiet zu erhalten. Einen Aufenthalt auf einer „Indianerinsel“ haben wir uns jedenfalls anders vorgestellt. Später erfahren wir von Lulu, dem Kapitän des Schiffs, dass man weltweit, nur noch an den Inseln der Kuna ankern kann und die Inseln dann auch betreten darf. Überall anders müsse man Hafengebühren zahlen oder darf an Privatstränden gar nicht erst anlegen. Ein solcher Trip mit der Stahlratte, der einen Aufenthalt auf den San Blas Inseln mit BBQ am Strand beinhaltet, sei nirgends mehr möglich. Daher sei seiner Meinung nach auch die hohe Kuna Tax gerechtfertigt.
 
Am nächsten Morgen werden wir erst gegen Mittag wieder von der Insel abgeholt und zurück zur Stahlratte gebracht. An Deck gibt es ein leckeres Frühstück und dann heißt es Anker los. Es ist nur ganz schwacher Wellengang vorhanden, aber wir denken uns bald, dass die Überfahrt auf offener See heiter werden kann. Mir wird von dem bisschen Schaukeln schon fast übel. Nach circa zwei Stunden erreichen wir die San Blas Inseln, vor denen wir für die nächsten zwei Nächte ankern werden. Es sind mehrere kleine Inseln mit Kokospalmen und feinem Sandstrand im türkisblauen Meer, wie man sie aus Werbefotos kennt. Wir legen direkt die Badesachen an und gehen eine Runde schnorcheln, wobei wir Seesterne und Seeigel zu sehen bekommen. Am frühen Abend gibt es auf der Insel ein BBQ: Auf dem Rost über dem Feuer grillen wir uns Spieße mit Banane, Fleisch, Zwiebeln, Tofu und Paprika. Dazu gibt es Salat mit Brotfrucht. Noch lange sitzen wir alle am Lagerfeuer und tauschen Geschichten aus aller Welt aus. Zum Schlafen gehen wir wieder aufs Schiff und werden noch Zeuge eines schönen Naturschauspiels: das Schiff wird von mehreren Rochen umkreist. Im Taschenlampenlicht leuchten sie gelblich-weiß und wir beobachten, wie diese majestätischen Gestalten durchs Wasser schweben. Gelegentlich springt sogar eines dieser beeindruckenden Tiere aus dem Wasser.
 
Die Kuna Indianer
Die San Blas Inseln sind mit Kokospalmen bepflanzt. Eigentlich sind es Kokospalmen-Plantagen, die von den Kuna angelegt worden sind. Früher waren die Inseln mit Mangroven bedeckt, welche die Indianer abgeholzt haben. Die Inseln sind nicht dauerhaft bewohnt, doch kommen die Familien abwechselnd für jeweils 3 Monate zur Ernte auf die Inseln. Die geernteten Kokosnüsse dürfen sie dann verkaufen. Mit Einbäumen fahren sie auf dem Meer von einer Insel zur anderen. Auf unsere Frage hin, wie die Kuna sich mit Trinkwasser versorgen, erzählt uns Lulu, dass sie nur durch das Trinken von Kokosnusswasser und das Essen von Früchten und gekochten Gerichten Flüssigkeit aufnehmen. Er erzählt uns weiterhin, dass die Kuna ein sehr friedvolles Völkchen sind. Sogar mit ihren eigenen Straftätern seien sie sehr geduldig und versuchen diese mit Worten anstatt mit harten Strafen zu belehren. Wenn der Geduldsfaden jedoch reißt, folgt die Verbannung aus dem Stamm. Bei Untreue gibt es allerdings doch eine Strafe: der Betrüger muss einen Tag an einem öffentlichen Platz auf einem Ministuhl sitzend ausharren, ohne umzufallen. Die Kuna dürfen sich zwar mit Fremden verheiraten, doch müssen sie dann den Stamm verlassen, da eine Integration des Nicht-Kuna in den Stamm nicht möglich ist.
 
Ein Unwetter am nächsten Morgen hindert uns daran wieder schnorcheln zu gehen. Dafür sichten wir Delphine und schauen uns geschützt auf dem Boot das Blitzlichtgewitter an. Drei Kuna-Frauen in farbenfroher traditioneller Kleidung kommen an Board und verkaufen ihren Schmuck. Leider sind sie etwas fotoscheu. Wir wollen mit dem Schnorcheln warten bis sie wieder abreisen, um Fotos machen zu können, wenn sie mit ihrem Einbaum abfahren. Am Ende steigen sie leider ins Motorboot und ziehen den Einbaum hinter sich her.
 
LuLu filetiert inzwischen an Deck den bestimmt 1 Meter langen Fisch fürs Abendbrot, den die Kuna vorbeigebracht haben. Die Crew hat in der Zeit das Swing-Rope klargemacht, ein langes Seil, an dem wir uns von der Reling ins Wasser schwingen können. Diese akrobatische Übung kostet doch etwas Überwindung, denn es sieht vom Absprungort am Bug aus, als würde man in die Seite vom Boot knallen, bevor man unten ankommt. Es macht jedoch großen Spaß, auch wenn man ab und an etwas unsanft im Wasser landet. Später fährt uns Juan, eines der Crew-Mitglieder, in kleinen Gruppen hinaus zu einer Mini-Insel, auf der genau eine Palme steht. Um diese Insel herum zieht sich ein Riff, das wir nun erkunden wollen. Gemeinsam mit Joey mache ich mich in Schnorchelausrüstung auf den Weg. Die Korallen sind zwar wenig farbintensiv, aber sie haben sehr interessante Formen. Es tummeln sich einige bunte Fische um uns herum und wir sehen einen Aal und eine Muräne, der wir lieber nicht den Finger hinhalten. Es herrscht guter Wellengang und wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht von der Insel wegtreiben lassen oder unsanft aufs Riff gedrückt werden.
Am Abend gibt es an Deck ein ausgezeichnetes Dinner mit gebackenen Kartoffeln, paniertem Fisch und Hummer in Sauce. Nach einem schönen Abend an Board, bewundern wir wieder die Rochen, die uns umkreisen.
 
Nun wird es ernst. Gegen 5:30 Uhr heißt es Anker los und wir beginnen die circa 30 Stunden dauernde Überfahrt auf offener See nach Cartagena. Von weitem sehen wir schon die dunkle Wolkenfront und recht bald befinden wir uns in einen Sturm. Bei dem Regen und Wind können wir nicht mehr an Deck bleiben, und gehen unten ans offene Heckfenster. Es dauert nicht lange bis die Seekrankheit einsetzt. Wir haben keine Anti-Seekrankheit Tabletten genommen und müssen uns abwechselnd übergeben, als wäre es ansteckend. Für uns fühlt es sich an wie extrem starker Seegang. Halb über dem Heckfenster hängend, blicken wir auf die Wellenberge, die sich hinter uns aufbäumen. Aus dem Wellental heraus können wir nicht mehr über den Wellenberg hinausschauen und sehen keinen Horizont mehr. Wiederum auf dem Wellenberg sitzend, blicken wir in die Tiefe. Die Wellenberge und -täler von nah und fern ergeben ein einzigartiges Muster, eine riesige wabernde Masse, die fast nicht begreifbar ist. Um uns herum ist nur Wasser, soweit das Auge reicht. Auf einer Seegang-Skala von 1 bis 10 wäre es laut Lulu immer noch eine 1, was wir für etwas untertrieben halten. Seine Crew gibt dem Seegang immerhin eine 3. Wie fühlt sich dann wohl „Seegang 10“ an oder allein schon diese Fahrt auf einem kleineren Segelboot?
 
Nachdem wir um die Wette gekotzt haben, versuchen wir es damit uns unter Deck hinzulegen und die Augen zu zumachen. Das funktioniert sogar einigermaßen. Ich entscheide mich dann doch eine dieser Anti-Seekrankheits-Tabletten zu nehmen, damit es später auch im Stand besser geht, doch nach 2 Minuten kommt sie wieder raus. Das ist das übliche Problem, wenn man sie nicht schon mehrere Stunden vor Abfahrt genommen hat. Sie bleiben nicht lange genug drin um ihre Wirkung zu entfalten. Nachdem ich einige Zeit geschlummert habe, ruft uns Daniel ans Deck: Delphine! Etwas widerwillig quälen wir uns aus unserer Koje, haben wir doch gerade einen Zustand erreicht, indem uns nicht dauerhaft schlecht ist. Entgehen lassen können wir uns es aber auch nicht und als wir schließlich am Bug stehen, sind wir überwältigt. Unter uns am Bug fliegen die Delphine nur so durchs Wasser. Man sieht kaum ihre Schwimmbewegung, sie scheinen wie Torpedos mühelos durchs Wasser zu schießen. Es ist ein unglaublicher Anblick. Der Kapitän erklärt uns später, dass die Delphine beim Schwimmen vor dem Bug leichter Nahrung fangen können. Die Fische können aufgrund der veränderten Lichtverhältnisse ihre Jäger nicht mehr rechtzeitig erkennen und sind somit leichte Beute.
 
Zum Abendessen gibt es sehr leckere Pasta mit zwei verschieden Saucen, von der wir leider nicht viel runter bekommen. Für den Notfall in der Nacht mache ich mich an Board auf die Suche nach Müllbeuteln. Von dem Herumgetorkel wird mir wieder schlecht und die Pasta verschwindet im nächtlichen Ozean. Beim Herüberlehnen über den Rand erblicke ich unter mir das Funkeln von Leuchtbakterien. Wer hat schon den Luxus sich in ein solch glitzerndes Spektakel übergeben zu dürfen? Nachdem ich fertig bin, bewundere ich noch einige Zeit dieses Naturschauspiel, welches man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt. Die Nacht können wir ohne weitere Zwischenfälle durchschlafen und erwachen morgens, als wir uns auf spiegelglatter See befinden. Die Seekrankheit ist wie weggeblasen, was zum Zuschlagen beim ausgiebigen Frühstücksangebot verleitet. Später gibt es wieder etwas mehr Wellen und ich bereue das ausgiebige Frühstück schon fast wieder, aber es geht alles gut.
 
Land in Sicht: zum ersten Mal erblicken wir Kolumbien. Wir fahren zwischen zwei alten spanischen Festungen hindurch in eine Bucht und bewegen uns immer weiter auf Cartagena zu. Die letzte Stunde verbringe ich im Bugnetz und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Die Skyline Cartagenas überrascht zunächst, hätten wir nicht mit einer solch modernen Stadt gerechnet. Im Hafen vor Anker liegend, warten wir auf die „Immigration Officer“ um unsere Einreisestempel in die Pässe zu erhalten. Zunächst kommt jedoch die Armada Nacional und durchsucht unser Gepäck. Die Bikes bleiben noch für eine Nacht an Board. Wir verlassen das Schiff nur mit den nötigsten Klamotten und suchen ein Hostel auf.
 
Am nächsten Morgen sind wir um 6:15 Uhr am Hafen um die Bikes abzuladen und das restliche Gepäck zu holen. Je vier Bikes werden auf ein schwimmendes Ponton geladen, welches dann zum Ufer gefahren wird. Die kurze Fahrt mit den Bikes zum Zoll ist quasi illegal, da wir noch keine Einfuhrerlaubnis fürs Fahrzeug haben. Diese bekommen wir allerdings nur, wenn wir das Fahrzeug dem Zoll vorführen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ein Einheimischer leitet uns auf der Suche nach dem Eingangstor zum Zoll fehl und so drehen wir eine illegale Extrarunde durch den morgendlichen Berufsverkehr im Einbahnstraßensystem. Nun warten zwölf Bikes auf ihre Abfertigung. Die Stahlratte hat einen Agenten organisiert, da der Einfuhrprozess in Kolumbien nicht trivial ist. Dieser kommt zwei Stunden zu spät, sodass wir zusätzliche Wartezeit in Kauf nehmen müssen, da nun viele andere Fahrzeuge vor uns dran sind. Erst um 14:30 könnten wir unsere Papiere abholen, was für den heutigen Tag zu spät ist, um eine Versicherung für das Motorrad abzuschließen. Die Zwischenzeit nutzen wir, um das Gepäck vom Schiff zu holen.
 
Nun heißt es endgültig Abschied zu nehmen von der Stahlratte und ihrer Crew. Etwas wehmütig blicken wir zurück. Es war ein sehr schönes Abenteuer und hätte gerne noch etwas länger andauern können. Kaum war die Seekrankheit überstanden, war es schon wieder vorbei. Auch schweißt das enge Zusammenleben an Board zusammen, ob man will oder nicht. Mit den meisten haben wir uns gut verstanden und neue Bekanntschaften geschlossen.
Insgesamt war es immer entspannt und locker. Der Kapitän und die Crew (Juan aus Spanien und Christina aus Deutschland) waren sehr hilfsbereit und haben für einen reibungslosen Ablauf gesorgt. Das Essen übertraf alles, was wir seit langem in Zentralamerika bekommen haben. Das ist vielleicht auch keine Kunst, aber sagen wir es war einfach gut und sehr zufriedenstellend.
 
Wäre die Fähre noch gefahren, hätten wir aus Kostengründen diese genommen. Die Stahlratte hat uns das Dreifache gekostet, war aber letztendlich ein unvergessliches und einzigartiges Erlebnis. Das Freiheitsgefühl auf See welches man plötzlich empfinden kann, ist unglaublich. Gleichzeitig fühlt man sich der Naturgewalt völlig ausgeliefert. Das Meer ist so riesig, dass man es kaum begreifen kann. Wenn man in alle Richtungen nur noch Wasser sieht, fühlt es sich plötzlich so an, als könnte man sich auf einem anderen Planeten befinden. Sind wir gerade wirklich noch in der realen Welt? Diese, von oben manchmal so bedrohlich wirkende Masse, beherbergt unter ihrer Oberfläche doch so viel Leben und so viel Schönheit.
Die Meeresbewohner, die man nur aus dem Film oder Aquarien kennt, in echt zu sehen, war sehr ergreifend. Besonders die Rochen und Delphine wirken majestätisch und das Meeresfunkeln fast schon magisch. Solche Erlebnisse führen wieder zu dem Bewusstsein, dass es für uns wichtigere Dinge gibt, als die Auswahl der passenden Ledersitzbezüge zum Edelholzarmaturenbrett.
 


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Kuba Teil III – zurück in Havanna

05.-08.07.2015
 
Wieder zurück in Havanna wollen wir die Zeit nutzen um noch mehr Eindrücke dieser lebhaften Stadt aufzusaugen. Ein Muss für jeden Havanna Besuch ist der Plaza de la Revolución José Martí. Dessen Fläche ist so riesig, dass dort mehr als eine Million Menschen Platz finden können. In der Umgebung finden sich viele Regierungsgebäude und Ministerien. Das Innenministerium trägt das bekannte hausgroße Bildnis von „Che“, während am Informationsministerium Camilo Cienfuegos in gleicher Größe zu sehen ist. Das Areal des Denkmalturmes von Jose Marti, einem kubanischen Schriftsteller und Nationalhelden, dürfen wir zur der Zeit nicht betreten, obwohl es normalerweise öffentlicher Raum ist. Als wir östlich um den Platz herum gehen wollen und dabei noch unsere Kameras in der Hand haben, machen uns Sicherheitskräfte darauf aufmerksam, dass wir hier nicht mehr fotografieren dürfen. Später ist uns dann klar warum, wir stehen dem Verteidigungsministerium gegenüber.
 
Weiter die Straße hinunter kommen wir an einem großen Plakat vorbei, welches die Aufschrift „Bloqueo el Genicidio mas largo de la historia“ trägt. Das bedeutet so viel wie „Stoppt den längsten Völkermord der Geschichte“. Damit appelliert die kubanische Regierung hauptsächlich an die USA, die seit 1959 bestehende Handelsblockade aufzuheben. Seit dem Jahr ist Kuba im Im- und Export stark eingegrenzt, hat sich aber auch zusätzlich selbst Limitierungen geschaffen, indem zum Beispiel keine Waren eingeführt werden dürfen, die zu mehr als 10% in den USA gefertigten Teilen bestehen. Handelsbeziehungen werden verstärkt zu Ländern mit ähnlicher Ideologie gepflegt, wie zum Beispiel Venezuela, der VR China, Nordkorea, Vietnam und damals auch der DDR.
 
Während in den zentralamerikanischen Ländern die Läden voll von Plastikwaren, billigen Elektrogeräten und vielem unnötigem Krimskrams sind, findet sich in Kuba, nur wenige hundert Kilometer entfernt, nichts dergleichen. Aufgrund des Mangels bestimmter Waren und Ersatzteile sind die Menschen auf Improvisationen angewiesen. Im Großen und im Kleinen kann man das beobachten, zum Beispiel wenn wieder ein Obsthändler seinen Wagen auf Kugellagern anstelle von bereiften Rädern durch die Gegend schiebt, Toilettenpapierrollen als Lockenwickler herhalten oder ein Besenstiel die Motorhaube offen hält.
 
Ein interessantes Erlebnis war der Besuch des Eiscafes Coppelia. Hier macht sich besonders das Zweiwährungssystem Kubas bemerkbar. Eine riesige Schlange Einheimischer wartet vor dem Park, indem sich die Eisdiele befindet, um nach und nach hereingerufen zu werden. Sie können nur mit dem nationalen Pesos (CUP) bezahlen. Wir, die glücklichen Touristen, sind in Besitz der Touristenwährung Pesos Convertibles (CUC), welche im Jahr 2004 eingeführt wurde und dürfen direkt ohne anstehen zu müssen am Nachbarstand unsere Eiswaffel kaufen. Für uns ist es zwar mit einem Preis von einem CUC, was einem US Dollar entspricht, immer noch günstig, doch mit der nationalen Währung hätten wir einen Bruchteil bezahlt. Dieses Zweiwährungssystem spaltet die Gesellschaft. Für einen CUC bekommt man je nach Kurs 20-25 nationale Pesos. Alle staatlich ausgezahlten Gehälter (also fast alle) werden in der Nationalwährung CUP ausgezahlt. Die kubanischen Bürger haben in der Regel keinen Zugang zur Touristenwährung. Glück hat, wer im Tourismussektor arbeitet oder wer Verwandtschaft in den USA hat, sogenannte Exil-Kubaner, von denen viele in Florida leben. Im Gegensatz zu den staatlichen Kaufhäusern und Lebensmittelläden, in denen es fast nichts gibt, haben wir inzwischen auch Läden gesehen, in denen es westliche Markenartikel (z.B. Adidas Sportsachen) oder auch Elektrogeräte gibt. Doch in diesen Läden kann man nur mit CUC, bezahlen, das heißt für den Großteil der Bevölkerung sind diese Dinge unerreichbar. Das Eis jedenfalls schmeckt laut Stephan genauso wie zu DDR-Zeiten, was ihm auch schon bei den Nudeln mit Tomatensauce aufgefallen ist, von denen wir uns hier auf der Insel hauptsächlich ernährt haben. Von dem sonst für Einheimische gültigen Preisen profitieren wir beim Kinobesuch, den wir uns an einem Abend gönnen: 10 Cent kostet der Eintritt, sogar auch für uns.
 
Viele Kubaner die uns auf der Straße sehen, sprechen uns direkt auf eine kleine Geldspende an. Manchmal endeten sogar anfangs eigentlich ganz nette Gespräche mit der Bitte um Geld. Mehrmals ist es auch vorgekommen, dass uns Mütter ihre Babys oder Kleinkinder unter die Nase hielten und erwarteten, dass wir Geld für Saft und Süßigkeiten geben. Ein paar Mal kann man etwas geben, aber auf Dauer geht das nicht. Es ist andererseits verständlich, dass die Leute fragen, denn es ist für sie das einfachste Mittel um an Geld zu kommen.
Trotz der nicht zu übersehenden Armut ist die Kriminalitätsrate in Kuba sehr gering. Im Gegensatz zu Zentralamerika können wir uns auf der Insel relativ sorglos bewegen, auch nachts mit umgehängter Kamera. Es gibt kaum Stacheldrahtzaun und die Wohnungstüren, wenn vorhanden, stehen oftmals offen. Auch sehen wir kein bewaffnetes Sicherheitspersonal vor Banken oder Kaufhäusern. Dies mag mehrere Gründe haben: der Bildungsstand ist hoch und von den Einheimischen gibt es nicht viel zu klauen. Wenn man Touristen beklaut, dürfte der Verkauf, zum Beispiel einer Kamera, die es auf dem kubanischen Markt nicht gibt, schwer werden. Für die eigene Nutzung wäre Diebesgut viel zu auffällig, zum lohnenden Verkauf finden sich im Inland keine Abnehmer und das Zeug ins Ausland zu bekommen dürfte auch schwer werden. Auch die mentale Einstellung der Kubaner spielt sicherlich eine große Rolle. Im Land hat sich noch nicht die in der westlichen Welt geförderte Habgier so sehr ausgebreitet. Mit der derzeitigen Annäherung an die USA und Europa und der vermehrten Einfuhr von Waren wird auch hier, wie in anderen Ländern, wo viel Armut anzutreffen ist, die Kriminalitätsrate steigen. Das ist leider menschlich.
 
Ein ähnliches Reizthema wie das ungerechte Währungssystem dürfte für die Kubaner der schlechte Internetzugang sein. Selbst für die Touristen wird es schwer, wenn man nicht in einem der teureren Hotels untergekommen ist. In Vinales hatten wir uns mal erkundigt und die Kosten lagen bei circa 8 CUC pro Stunde. Das war es uns dann nicht Wert. Für die Kubaner ist es problematischer, denn sie haben keinen Zugang zu unabhängigen Informationen über Geschehnisse im In- und Ausland. Die nationalen Print- und TV-Medien sind natürlich der Partei verpflichtet. Wir hatten gehört, dass in Kuba USB-Sticks im Umlauf sein sollen, auf denen aktuelle Informationen und Webseiten aus aller Welt abgespeichert sind, die von Leuten mit Internetzugang zusammengetragen wurden. Rings um Kuba herum findet sich zwar ein Netz von Unterseekabeln, an die Kuba aufgrund des Embargos allerdings bisher nicht angeschlossen werden durfte. Erst in 2013 wurde daher eine eigene Unterseeleitung nach Venezuela fertiggestellt, was die verfügbare Bandbreite gegenüber dem Satelliten-Internet schon deutlich erhöhte. An der Ausweitung der inländischen Kommunikations- Infrastruktur wird momentan gearbeitet, sodass sich die Lage schon verbessert und immer mehr Menschen Zugang zu Information bekommen. Inwieweit Webinhalte von der Regierung zensiert werden, können wir nicht beurteilen.
Ein positiver Effekt des nicht dauerhaft zur Verfügung stehenden Internets war jedoch zu beobachten: in Kuba haben wir kaum Smartphone-Zombies gesehen, wie wir sie aus Europa, den USA und inzwischen auch verstärkt aus Lateinamerika kennen. Die Menschen hier reden noch miteinander, anstatt Nachrichten an entfernte Freunde zu schicken, obwohl sie gerade mit physikalisch Anwesenden am Tisch sitzen.
 
In Havanna ist es spannend abends im Dunkeln durch die Wohnviertel zu laufen. Viele Fenster und Türen stehen offen, sodass man in die erleuchteten Wohnstuben blicken kann. Die Einrichtungen sind spärlich und die Möbel erinnern oftmals an DDR Zeiten. Als wir durch eine dunklere Straße gehen, winkt uns jemand zu sich herüber. Wir erwarten schon, dass er uns nach einem kurzen Gespräch nach Geld fragt. Doch darauf „warten wir vergeblich“. Der Mann heißt Thomas, ist zwischen 55 und 60 Jahren alt und er ist Musiker. Er möchte uns ein paar seiner Lieder vorspielen und mit uns zusammen singen. Nachdem wir unsere Schüchternheit was das Singen im öffentlichen Raum betrifft überwunden haben, stimmen wir zu seiner Gitarrenmusik ein. Thomas ist total begeistert und stimmt immer weitere Lieder an. So verbringen wir einen schönen Abend auf der Straße vor seiner Wohnungstür. Er bittet uns darum einen Brief mitzunehmen, der an eine Freundin von ihm aus Deutschland adressiert ist. Vorherige Post ist nicht angekommen und die Chance ist höher, wenn wir es aus Panama City absenden. Auch möchte er, dass wir ihm Fotos vom heutigen Abend aus Deutschland zukommen lassen. Später überlegen wir uns, dass es wohl besser ist, wenn wir hier die Fotos ausdrucken lassen und ihm vorbeibringen.
 
Also machen wir uns am nächsten Morgen auf die Suche nach einem Fotoladen, der uns einige Fotos ausdrucken kann. In der Nähe des Habana Libre Hotels findet sich eine höhere Dichte solcher Läden. Einziges Problem: im Laden kann man unsere RAW-Dateien von der Speicherkarte nicht lesen. Nach einiger Suche finden wir endlich jemanden, der uns die Dateien konvertieren kann. Wir gehen mit den Fotos zu der Straße, die wir uns gemerkt haben und schauen ob wir Thomas wiederfinden können. Die Haustür ist zu, doch eine Nachbarin bemerkt, dass wir ihn suchen und ruft mehrmals laut seinen Namen durch die Straße. Tatsächlich, er ist doch da. Er freut sich sehr uns wiederzusehen. Diesmal betreten wir seine Wohnung oder besser gesagt Kammer. Wir sind leicht über deren Zustand schockiert. Die Bude ist ranzig. Die Wände sind grau-braun vor Dreck und auf dem Boden steht nicht-identifizierbares Gerümpel. In einer Ecke hockt eine zerzauste Katze die gerade irgendwas vom Boden leckt. Die Kleidung des Kubaners sieht aus, als wäre sie mehrere Monate nicht gewaschen worden. Es müffelt im Raum so sehr, dass uns in der heißen stickigen Luft fast schlecht wird, zumal wir gerade riesigen Hunger haben. Thomas scheint gerade dabei zu sein Mittagessen zu kochen. Irgendwie muss er Stephan den Hunger angesehen haben und fragt ihn ob er nicht gekochte Zwiebeln essen möchte. Ich muss mir das Lachen verkneifen, denn Zwiebeln sind nicht gerade Stephans Leibspeise und so wie es hier aussieht, mag ich mir nicht vorstellen unter welchen hygienischen Bedingungen die Speise zubereitet und gereicht wird. Stephan kann es gerade so dankend ablehnen. Wir verbringen noch etwas Zeit mit Thomas und singen gemeinsam einige der Lieder vom gestrigen Abend. Die Lebensfreude, die Thomas trotz seiner Lebensumstände ausstrahlt ist unbeschreiblich und sehr inspirierend. Wir sind froh, dass wir ihn getroffen haben. Dann heißt es nochmal Abschied nehmen und wir bekommen eine dicke Umarmung von unserem neu gewonnen Freund.
 
Es ist unser letzter von 12 Tagen auf Kuba und wir gehen in unsere Unterkunft um unsere Sachen zu packen. Gegenüber von Alejandros Haus feiert sein Nachbar auf der Straße gerade seinen 50. Geburtstag. Wir hatten ihn schon öfter in den letzten Tagen gesehen und immer gegenseitig sehr freundlich gegrüßt. Die Partygesellschaft feiert ausgelassen und Alexis, das Geburtstagskind winkt uns zu sich herüber und lädt uns zur Party ein. Gleich wird uns ein Becher mit Wodka gereicht und dazu gibt es Fleisch-Eintopf aus einem großen Eimer, der direkt auf der Straße gekocht wird. Alexis ist sehr herzlich und freut sich über unsere Anwesenheit. Auch seine Gäste fragen uns regelrecht über unsere Reise aus. Sie bieten uns ihre Hilfe an und Alexis lädt uns zu einer Tour zum Strand mit seinem Gespann am nächsten Morgen ein. So sehr wir uns über diese Einladung freuen, ärgern wir uns dass wir am nächsten Tag zeitig abreisen müssen und dass wir diesen netten Haufen nicht schon eher kennengelernt haben. Auch er ist etwas traurig, dass wir sein Angebot nicht annehmen können und bietet uns an gleich eine Runde um den Block zu drehen. Dafür haben wir noch Zeit und knattern mit ihm durch die Straßen. Das sollte das letzte Highlight unseres Aufenthaltes auf Kuba gewesen sein.
 
Morgens um vier klingelt der Wecker. Schon halb sechs sind wir am Flughafen und stellen uns am Schalter an, um einzuchecken. Der Mitarbeiter der Copa Airline fragt uns nach unserer „final destination“, unserem Endziel. Für uns ist das in dem Fall Panama City, denn vor dort aus fahren wir mit dem Motorrad weiter. Nein, das geht aber nicht, die Einreisebestimmungen von Panama verlangen, dass man ein Weiterflugticket aus Panama heraus braucht. Das haben wir natürlich nicht, denn wir sind ja in Panama über Land mit dem Motorrad eingereist und dort brauchte man auch kein Rückflugticket vorweisen. Wir versuchen dem Airline-Mitarbeiter unsere Situation zu erklären. Wir zeigen ihm die Passstempel von uns und von den Motorrädern. Er fragt uns wie wir denn Panama verlassen würden. Wir sagen mit einem Boot nach Kolumbien. Und wie verlassen wir Kolumbien? Über Land nach Ecuador. Als wir bei dieser stumpfsinnigen Diskussion endlich in Argentinien angekommen sind, erklärt er uns, dass wir irgendwie nachweisen müssen dass wir Amerika (!) verlassen. Das ginge ja nur mit einem Flugticket. Wir sind innerlich schon auf hundertachtzig. Wie soll man dem Typen klarmachen, dass wir solange im Voraus noch kein Rückflugticket haben können, abgesehen davon, dass wir dies mit der Verschiffung der Bikes abstimmen müssen und es insgesamt ein größerer logistischer Aufwand ist. Er schickt uns zu seiner Chefin, die genauso auf stur schaltet. Im Computersystem könne man diese erforderliche Eingabe nicht umgehen und daher können wir nicht nach Panama fliegen, solange wir kein Weiterflugticket haben. Uff. Jetzt eben mit dem lahmen Internet hier auf die Schnelle irgendein Ticket kaufen, das nicht billig sein wird und für uns völlig nutzlos ist, kommt für uns nicht in Frage. Andererseits können wir hier nicht hängen bleiben, denn wir haben ja die Überfahrt mit der Stahlratte, dem Segelschiff von Panama nach Kolumbien gebucht, welches in einer Woche ablegt. Wir bleiben also auch stur, blockieren den Schalter und reden weiterhin auf den armen Mitarbeiter ein (er kann ja auch nichts für das System und die Bestimmungen von Panama). Wir versuchen zu argumentieren, dass die Immigration von Panama ja erst am Flughafen in Panama City ist und man uns doch bitte zumindest von der Insel runter lassen soll. Mit den Grenzbeamten könnten wir uns schließlich dann vor Ort auseinander setzten. Die Vorgesetzte erbarmt sich nun, die Immigration in Panama anzurufen und dort nachzufragen, ob das so ginge. Schließlich checken sie uns doch ein, mit dem Hinweis, dass wir uns darauf gefasst machen sollen, in Panama am Flughafen ein Ticket kaufen müssen. Zutiefst erleichtert steigen wir in den Flieger. Vor der Reise nach Kuba hatte ich mir Gedanken gemacht, ob wir ohne weiteres aus Panama ausreisen können, obwohl unsere Motorräder noch im Land sind. Da hätte es unter Umständen Probleme mit dem Zoll geben können. An solch ein Problem bei der Rückreise haben wir im Traum nicht gedacht. Man kann sich eben nicht auf alles vorbereiten. Für die Airlines ist unsere Situation auch zu selten, als dass sie im System vorgesehen wäre.
 
Ein letztes Mal sehen wir den Karibikstaat von oben, der zugleich bunt und voller Leben als auch grau und dem Zerfall nicht fern ist. Der Besuch Kubas war definitiv ein Highlight unserer bisherigen Reise. In den derzeitigen Tagen findet eine Annäherung von Kuba und den USA statt. Nur wenige Tage nach unserem Besuch wird erstmals seit langer Zeit die US-Botschaft auf Kuba wieder eröffnet, welches ein großer Schritt in Richtung Lockerung des Embargos oder vielleicht sogar seiner Aufhebung ist. Ergo wird sich in naher Zukunft voraussichtlich viel im Land ändern. Wir hoffen sehr zu Gunsten der Bevölkerung aber nicht zum Leid seines Charmes und seiner Lebensfreude.
 


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Kuba Teil II – Pinar del Rio

01.-04.07.2015
 
Am fünften Tag holen wir unser Mietauto ab, welches wir vorher bereits im Internet gebucht haben. Nachdem uns die Autovermieter fast 3 Stunden auf das Auto haben warten lassen, kann es endlich losgehen. Als wir kurze Zeit vor einem Laden parken, um Wasser für die nächsten Tage einzukaufen, verlangt Frau plötzlich einen Dollar für das Parken von uns, obwohl hier weder gebührenpflichtiges Parken ist noch Parkverbot besteht. Wir ignorieren das und fahren weiter. Leider passiert es immer wieder, dass Menschen denken sie können Geld von uns verlangen, weil wir Ausländer sind.
Über die fast leere Autobahn fahren wir rund 200 Kilometer nach Pinar del Rio, einer Provinz im Westen der Insel. Einige der Schlaglöcher sind brutal und wir müssen aufpassen, dass wir sie nicht mit den Rädern erwischen, denn diese sind auf Kuba von der Autoversicherung ausgeschlossen. Aus gutem Grund, wenn man den Zustand der Straßen sieht. Mitten auf der Autobahn werden wir plötzlich von einem Soldaten über den Mittelstreifen auf die Gegenspur gelotst. Das auf der Gegenspur niemand steht um dem dortigen Verkehr zu signalisieren, dass deren Überholspur nun von unserer Fahrtrichtung genutzt wird, gibt uns etwas zu denken. Ursache für die Umleitung ist ein Militärkonvoi, an dem man nicht zu nahe vorbeifahren darf, obwohl genug Platz in unserer Fahrtrichtung gewesen wäre.
 
Pinar del Rio ist bekannt für die außergewöhnliche Landschaft aus Karstbergen und den Anbau von Tabak. Wir schauen nicht schlecht als wir die ersten Bauern sehen, die ihre Felder noch mit dem Ochsenpflug bearbeiten. Unsere Unterkunft in der Kleinstadt Vinales hat uns Alejandro empfohlen. Es ist ebenfalls ein Casa Particular, genannt Casa del Maestro (das Haus des Lehrers). Die Familie empfängt uns freundlich, was uns etwas gespielt vorkommt und wir merken schnell, dass es hier ums Geschäft geht. Gleich nach dem Einchecken kommt ein Tourguide und wirbt für eine geführte Tour durch den Nationalpark. Alleine könne man den Park nicht besuchen. Wir lehnen dankend ab, denn das können wir nicht so ganz glauben. Die Familie überredet uns dazu hier im Haus zu essen, da das Essen in der Stadt nicht gut wäre. Da ich mich wegen einer Erkältung und Gliederschmerzen nicht so gut fühle, lassen wir uns darauf ein. Die Omi kocht uns ein reichhaltiges Abendessen, welches sie sich zwar gut bezahlen lässt, uns aber nach den Spaghetti-Tagen in Havanna auch gut tut. Im Anschluss wurde uns das Wasser teuer zusätzlich berechnet. Man hatte es uns zusammen mit dem Essen auf den Tisch gestellt ohne zu sagen dass es extra kostet und wir dachten daher es ist im Preis inklusive. Wasser hätten wir selbst dabei gehabt, zu einem Viertel vom Preis. Die Tatsache, dass man bei jeder Kleinigkeit vorher nach dem Preis fragen muss, weil man sonst abgezogen wird, nervt uns langsam. Das war schon in Zentralamerika so. Muss man denn immer vom Schlechten ausgehen? Wir wollen nicht jedes Mal fragen müssen, da wir uns dann fühlen als würden wir direkt eine schlechte Absicht unterstellen. Aber leider geht es nicht anders und wir vergessen es dennoch ab und an.
 
Das Gästezimmer ist quasi ein Zimmer in dem kleinen Haus, in dem die vierköpfige Familie wohnt. Kommen wir aus unserem Zimmer heraus, stehen wir direkt in der Küche. Im Gartenhäuschen sind noch weitere Gäste aus Tschechien untergebracht. Auf unserer bisherigen Reise haben wir noch nie tschechische Reisende wahrgenommen, hier auf Kuba treffen wir gleich mehrmals welche. Vinales ist ein beschauliches Städtchen, welches vom Tourismus lebt. Die vorderen Hausfassaden sind fast alle verputzt und frisch in verschiedenen Farben gestrichen. Doch schon an den Seitenwänden kommt die unverputzte Mauer zum Vorschein und wie die Hinterhöfe aussehen, können wir uns denken.
 
Trotz der ernüchternden Aussage dieses Nationalpark Guides, dass man nicht alleine in den Park kommen könnte, starten wir am nächsten Tag mit unserem gemieteten Geely CK auf unsere eigene Entdeckungstour. Zunächst wollen wir eine Tabakfarm aufsuchen ohne eine geführte Tour buchen zu müssen. Auf einem Feldweg biegen wir einfach ab und fragen uns durch. Tatsächlich landen wir bei einem Tabakbauern, der uns nach etwas Wartezeit in seiner Trockenhütte zeigt, wie man eine Zigarre aus den getrockneten Tabakblättern dreht. Währenddessen erzählt er uns einige interessante Dinge über den Tabakanbau. So zum Beispiel müssen die Bauern mindestens 90% der getrockneten Tabakblätter an den Staat abgeben und machen dadurch selbst kaum Gewinn. Die Blätter enthalten nur 2% des Nikotins der gesamten Pflanze, der Rest befindet sich im Stängel. Im Gegensatz zu Zigaretten, beinhalten Zigarren bewusst nur einen geringen Anteil des Giftstoffes, denn keine Zigarre soll süchtig machen. Der Bauer liefert die Blätter aus denen im staatlichen Betrieb später die weltberühmten Montechristo Zigarren manuell hergestellt werden. Diese kosten bis zu $25 pro Stück. Er ist etwas enttäuscht, dass wir ihm nicht die 14er Packung für umgerechnet $40 abkaufen wollen. Für seine Vorführung geben wir ihm ein Trinkgeld, worauf er uns eine einzelne Zigarre zum Mitnehmen gibt.
 
Wir fahren weiter durch die Provinz und sind von den Karstfelsen, die vereinzelt aus der Landschaft stechen, beeindruckt. Über den schlechten Zustand der Landstraßen, deren Oberfläche zum Teil zerrissen oder mit riesigen Schlaglöchern übersät ist, sind wir schockiert. Zum Teil fehlt der Belag komplett und wir fahren auf Schotterpiste. Wir fahren bis zur Nordküste und landen so in der Kleinstadt Puerto Esperanza. Zur Mittagszeit erscheint es uns wie ein verlassener Ort und wir fühlen uns wie an einem Sonntagvormittag in Brandenburg. Direkt nach unserer Ankunft spricht uns ein Kubaner an und lädt uns zu einem Mango-Saft in seinem Casa Particular ein, was wir nach etwas Zögern annehmen. Wir fühlen uns dort wohl und entscheiden in zwei Tagen hierhin umzuziehen, da wir hier günstigere und weniger frequentierte Touren über Land in einer der typischen Pferdekutsche machen können. Puerto Esperanza ist kein typischer Touristenort und wir erhoffen uns hier authentischere Einblicke.
 
Auf dem Rückweg nach Vinales fahren wir am Eingang des Nationalparks vorbei und beschließen hier morgen wandern zu gehen. Ein Bauer pflügt mit seinen zwei Ochsen ein Feld. Was für uns inmitten dieser außergewöhnlichen Landschaft in der Abendsonne romantisch aussieht, ist für ihn körperlich harte und schweißtreibende Arbeit. Beim Wenden des Pflugs muss der Mann immer wieder das schwere Gerät aus der Erde heben, um die Ochsen zu unterstützen. Mit lauten Sprachbefehlen versucht er die beiden Arbeitstiere zu lenken und anzutreiben. Über einen Holzbalken sind sie am Kopf hinter den Hörnern mit einem leichten Winkel nach innen verbunden, was es ihnen unmöglich macht, einfach davon zu stürmen. Wir wechseln einige Worte mit dem Bauern und er erlaubt uns Fotos zu machen.
 
Am nächsten Morgen kehren wir zurück und fahren mit dem Skoda ein Stück weiter auf einem unbefestigtem Kutscherpfad, wobei wir uns nicht ganz sicher sind ob das erlaubt ist. Wir parken an einem kleinen See und laufen zu Fuß weiter. Von einem Aussichtspunkt auf einem Hügel überblicken wir weite Teile der umliegenden Landschaft, wie wir sie vergleichbar noch nicht gesehen haben. Mit Hilfe des Smartphones versuchen wir den Weg zum Höhleneingang der „Grotten von Vinales“ zu finden. Auf dem Weg begegnen uns mehrere Bauern mit ihren Ochsengespannen, die sie zu ihren Feldern führen beziehungsweise vom Feld zurückbringen. Ein kleiner Junge treibt ebenfalls selbstständig von seinem Pferd aus ein Gespann vor sich her. Weiter hinten sehen wir dann die Felder auf denen mehrere Bauern mit ihren Pflügen unterwegs sind. Es gibt auch Traktoren im Land, doch die können sich die einfachen Bauern nicht leisten.
 
Nach einigem Umherirren vorbei an einer Tabakfarm, einigen Bananenbäumen und querfeldein über Kuhwiesen und Felder, finden wir an der langen Wand eines Karstberges etwas was nach Höhleneingang aussieht. Tatsächlich stehen vor der Höhle zwei Guides, die Höhlenbesichtigungen anbieten. Sie sind gerade mit zwei Besuchern zurück gekommen und in leichter Aufregung, da ein Besucher in den Höhlen verloren gegangen ist. Die Höhlen sind weitverzweigt und es ist nicht schwer sich in der Dunkelheit zu verlieren. Nach einer halben Stunde haben sie schließlich den Ausreißer gefunden und wir können für circa zwei Dollar mit einem Guide die Grotte begehen. Wir bekommen jeder eine Grubenlampe und stoßen auf äußerst rutschigem Untergrund circa 250 Meter in das Höhleninnere vor. Interessante Konstrukte aus Kalkstein, gigantische Stalaktiten und ein unterirdischer See erwarten uns dort, eine skurrile Landschaft die Lust auf mehr macht. Kein Wunder, dass manche Besucher sich hier verlieren, denn die Versuchung hier Abstecher zu unternehmen ist groß. Das unterirdische System führt mehrere Kilometer weiter im Valle de Ancon wieder ans Tageslicht. Nach dieser angenehmen Abkühlung in dieser anderen Welt wandern wir in der Nachmittagshitze zurück zum Auto. Wir kommen vorbei an vielen Schweinen, die überall verteilt an schattigen Plätzen angeleint sind und ein Schläfchen halten.
 
Mit dem Auto wollen wir nun ins Valle de Ancon fahren. Dabei passieren wir eine große Felswand, nahe den Höhlen von San Miguel, die beeindruckender nicht sein kann. Wie sonst nur im Höhleninneren zu sehen, sind an dieser Steilwand Stalaktiten zu hunderten offenliegend zu sehen, als wäre eine alte Höhle auseinander gebrochen. Im Valle de Ancon machen wir eine kleine Rundwanderung und ein freundlicher Bauer lässt mich kurz auf seinem Transportschlitten mitfahren. Später stoßen wir auf einen großen verlassenen Schulkomplex. Als wir dort umherlaufen, werden wir von einem anderen Bauern sehr unfreundlich weggeschickt, als gäbe es hier etwas zu verbergen.
 
An unserem letzten vollen Tag auf dem Lande fahren wir früh morgens wie geplant nach Puerto Esperanza um vor der Mittagshitze die Kutschfahrt machen zu können. Der Kutscher sollte um 9 Uhr kommen, um 10 Uhr war er dann endlich da. Wir fahren bzw. holpern also mit Louis, unserem Kutscher, auf der einachsigen Kutsche mit einem vorgespannten Pferd durch das Land der Bauern. Diese Gefährte sind hier auf dem Land sehr gängig und werden auch in den Kleinstädten als Transportmittel genutzt. Louis plaudert etwas aus dem Nähkästchen und erzählt uns über Land und Leute. Die Menschen hier hätten Angst vor der Regierung und der Polizei. Wer sich regierungskritisch äußert läuft Gefahr eingesperrt zu werden oder wird anderweitig unterdrückt. Das Problem sei, man wisse nie mit wem man über kritische Themen reden kann, denn um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, gehen Leute petzen.
 
Wir wussten vorher schon, dass jeder Kubaner monatlich eine Nahrungsmittelration vom Staat bekommt. Louis erzählt uns, dass dies zum Überleben niemals reiche. Die Ration beinhaltet unter wenigen anderen Dingen 2kg Reis, 300g Hühnerfleisch und 1,5kg Zucker. Damit kommt man nicht über den Monat, und sonstige Lebensmittel sind für die geringen Einkommen der Bauern sehr teuer. Die Bauern müssten fasst ihre gesamte Ernte beim Staat abgeben und haben so selbst kaum Erträge. Sie helfen sich gegenseitig wo sie können, der Zusammenhalt sei groß. Versucht jedoch jemand mehr Geld zu machen als die anderen, ist er außen vor. Mit „Touristen in Kutschen umherfahren“ lässt sich zum Beispiel etwas hinzuverdienen, doch benötigt man dazu die Genehmigung einer Behörde. Die Einnahmen werden genau dokumentiert und der Guide bekommt weniger als 50% davon. Bekommen die Einwohner mit, dass jemand ohne Erlaubnis Touristen in ihrer Gegend umherfährt, wird derjenige angeschwärzt. Es ist also ein zweischneidiges Schwert aus Nachbarschaftshilfe und Solidarität einerseits, die zum Teil aus der Not heraus entstehen und auf der anderen Seite Verrat und Missgunst untereinander, sobald jemand mehr besitzt als andere. Es ist auch kein Wunder, dass sich in Kuba vieles über Tauschgeschäfte mit Naturalien regeln lässt und damit auch nicht unwesentlich Beamtenbestechung stattfindet. Die Einkommen sind so gering, dass die Menschen keine andere Wahl haben. Ärzte zum Beispiel verdienen einen staatlich regulierten Lohn von umgerechnet $15 bis $20 im Monat (!), obwohl die kubanischen Mediziner im internationalen Vergleich sehr gut ausgebildet sind. Zum Vergleich: Eine Taxifahrt im Oldtimer kostet für einen Ausländer circa $25 pro Stunde. Bei diesem unverhältnismäßig geringen Lohn, der auch Lehrer und andere qualifizierte Fachkräfte betrifft, ist es kein Wunder, dass Akademiker Taxifahrer werden. Die täglichen Trinkgelder im Tourismusbereich können schon ein monatliches kubanisches Gehalt übersteigen. Wie gut das für die wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklung eines Landes ist, kann man sich denken. Ein weiterer Effekt von stattlich regulierten Löhnen konnten wir selbst auch in Havanna schon spüren: warum soll man sich anstrengen, wenn man nicht mehr für seine Leistung bekommen kann? Ob der Verkäufer nun zwei oder hundert Flaschen Wasser am Tag verkauft, ist ihm egal, er bekommt so oder so das gleiche Gehalt. Dies bremst einerseits innovative Geschäftsideen aus und führt zu Dienst nach Vorschrift. Andererseits beugt die Gleichstellung Aller einer Unzufriedenheit vor, die viele Menschen in unserer Kultur haben, wenn sie sehen was der Nachbar besitzt. Die Gleichstellung bringt aber auch eine gewisse Gelassenheit mit sich, die das Alltagsleben deutlich entspannter erscheinen lässt.
 
Nach Louis Meinung erkennt die Regierung Castros die Sorgen des Volkes nicht und angeblich würden gerne 98 Prozent der Kubaner das Land verlassen. An anderer Stelle hatte man uns erzählt, dass die Leute prinzipiell zufrieden sind, da sie den Wohlstand anderer Länder nicht kennen. Die Landsleute die es aber jemals außerhalb von Kuba geschafft haben, kommen nur ungern zurück. Zumindest erscheinen uns die Kubaner nach außen hin sehr lebensfroh. Das Glücksempfinden einer Nation ist ja bekanntlich schwer messbar. Doch wie aussagekräftig können Zahlen aus Umfragewerten sein, wenn das Verhalten der Menschen nicht damit zusammen passt? Schaut man in die ernsten Gesichter der Menschen in einer x-beliebigen deutschen Großstadt und schaut man in die oftmals strahlenden Gesichter der Kubaner, dann wissen wir auch nicht mehr, wem es nun wirklich besser geht.
 
Am Kehrpunkt unserer Kutschfahrt erklimmen wir ein wackeliges Stahlgerüst, welches einen Aussichtsturm darstellen soll. Der Blick reicht von den grünen Bergen bis zum Meer und ich kann es kaum genießen da ich das Gefühl habe, dass diese Konstruktion jederzeit nachgibt. Auf der Rückfahrt besuchen wir kurz eine ärmlich lebende Tabakbauernfamilie. Im Trockenhaus hängt die Ernte in mehreren Lagen übereinander, von denen auch dieser Bauer fast alles an den Staat abgeben muss. Die tausenden getrockneten Blätter verbreiten einen unbeschreiblichen Duft, den auch wir als Nichtraucher angenehm finden.
 
Ein Unwetter naht und so machen wir uns mit der Kutsche auf den Rückweg nach Puerto Esperanza, was so viel wie „Hafen der Hoffnung“ bedeutet. Dort sehen wir beim Vorbeifahren eine kleine Zigarrenmanufaktur. In Kuba ist es unerwünscht das Innenleben dieser Manufakturen zu fotografieren, selbst nicht bei geführten Touren, was vermutlich an den schlechten Arbeitsbedingungen liegt. Bei unserer späteren Stadterkundungstour kommen wir auch hier nochmal vorbei. Die Tür steht offen, sodass wir einen Blick wagen. Durch den starken Kontrast der grellen Sonne außen und dem stark abgedunkeltem Innenraum, dauert es ein paar Sekunden bis wir überhaupt etwas sehen. Die Kamera hatte ich im Voraus für Aufnahmen im Dunkeln eingestellt und ich mache schnell ein paar Fotos in den Raum. Nach zwei Fotos in die Dunkelheit schreit eine der Arbeiterinnen „Numero Uno, Numero Uno“, was „Nummer Eins“ bedeutet und womit der Chef gemeint ist und zeigt aufgeregt auf uns. Dieser macht uns durch ein grimmiges Gesicht und wilde Handbewegungen deutlich, dass wir verschwinden sollen. Wir gönnen uns daraufhin ein Eis aus der uralten Softeismaschine um die Ecke und setzen unseren Stadtspaziergang fort.
 
So wie in Havanna, sind auch auf dem Land Parteiwerbung, Propagandasprüche und Portraits wichtiger Personen häufig anzutreffen. Die PCC Partido Comunista Cuba (Kommunistische Partei Kubas) ist scheinbar allgegenwärtig und hätte Parteiwerbung gar nicht nötig, denn es gibt keine Wahlalternative. Ebenfalls oft sehen wir die Abkürzung CDR, was Comité Defensa de la Revolucion und auf Deutsch „Komitee zur Verteidigung der Revolution“ bedeutet. Wie der Name schon vermuten lässt, ist dies eine Organisation, die der Staatsregierung untersteht. Mehr als 90% der Kubaner sind „freiwillig“ Mitglied, wodurch der Regierung ein lokales Überwachungsorgan innerhalb der Bevölkerung zur Verfügung steht. Nichtmitglieder müssen mit Ausgrenzung und Repressalien rechnen. Um auch die Jugend zu erreichen, gibt es den kommunistischen Jugendverband UJC – Unión de Jóvenes Comunistas, dessen Logo wir unter anderem an Schuleinrichtungen gesehen haben. Bei ehemaligen DDR-Bürgern werden nun sicherlich Erinnerungen wach.
 
Ebenso häufig sind Portraits von Nationalhelden, Persönlichkeiten die für den Sozialismus und Kommunismus stehen oder anderweitig ins Gesamtkonzept passen, an Hauswände, Mauern und Schilder gemalt. Neben Castro und „Che“ sind das unter anderem Cienfuegos, Marx, Lenin, Gomez oder Jose Marti.
 
Wir verlassen Pinar del Rio und fahren zurück in die Hauptstadt. Wieder sehen wir zahlreiche Menschen, die am Rande der Autobahn stehen und darauf hoffen mitgenommen zu werden. Nur wenige Familien auf dem Land können sich ein Auto leisten und öffentliche Verkehrsmittel sind rar. An Brücken und Abfahrten häufen sich größere Menschenmengen. So ist es für die Menschen hier zum Alltag geworden auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten. Im Mietwagen ist es uns untersagt Anhalter mitzunehmen und auch Alejandro hatte uns eindrücklich davor gewarnt. Auf den Fahrten über Land haben wir einige Male jemanden mitgenommen, doch die Strecke nach Havanna wollen wir ohne Verzögerungen zurücklegen, um die rechtzeitige Abgabe des Wagens nicht zu gefährden.
Auf der Rückfahrt nach Havanna fällt uns auf, dass die Autobahnspur in deutlich besserem Zustand ist als auf der Hinfahrt und wir kein Schlaglochslalom mehr fahren müssen. Ob es wohl Absicht ist, das die Einfahrt in die Hauptstadt angenehmer ist als die Fahrt aufs Land?
 
Im dritten und letzten Teil über Kuba schildern wir demnächst unsere letzten Tage in Havanna, oder auch „La Habana“, wie es im Spanischen heißt.
 


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Kuba Teil I – La Habana

26.-30.Juni 2015
 
Was wird uns wohl in dem Land erwarten, welches seit mehr als 50 Jahren den Sozialismus lebt und in der Zeit von fast all dem abgeschnitten war, was sich in „unserer“ heutigen westlichen Welt abspielt?
Über die Geschichte Kubas, seine Rolle im Kalten Krieg und über die Hauptfiguren Ernesto „Che“ Guevara und Fidel Castro kann man sich vielerorts informieren. Daher wollen wir diese Themen an dieser Stelle nicht in den Fokus stellen, es würde ohnehin den Rahmen sprengen. Wir konzentrieren uns darauf, was wir im Jahre 2015 in dem Land erleben, welches sich nach Fidels Zeitrechnung im 56. Jahr nach der Revolution befindet. Wie leben die Menschen hier?
 
Schon während der Taxifahrt vom Flughafen in die Innenstadt von Havanna fühlen wir uns wie auf einer Zeitreise in die Vergangenheit. Unter anderem prägt die veraltete Autoflotte das Bild. Keines der amerikanischen Fahrzeuge ist jünger als aus dem Jahre der Revolution. Längst nicht alle dieser Oldtimer von Cadillac, Ford, Chrysler & Co sind so schön aufpoliert wie die Touristen-Taxis. Viele der Karren fallen halb auseinander, sind zerbeult oder haben nachmodellierte Teile angebaut. Einen weiteren großen Teil der Flotte bilden Autos und LKW aus osteuropäischen Ländern. Einige Volkswagen Käfer fallen uns noch auf und wir sehen viele MZ-Motorräder, die in Zschopau zu DDR-Zeiten gebaut wurden. Vereinzelt fahren mittlerweile auch moderne Fahrzeuge umher, unter anderem von Hundai, Peugot, Skoda und Kia. Diese Autos sind hier allerdings extrem teuer und nur bestimmten Leuten vorbehalten, die ihrem Land auf besondere Weise dienen, wie zum Beispiel Politiker, Regierungsbeamte, Sportler und Künstler.
 
Unsere Unterkunft ist ein sogenanntes „Casa particular“, eine private Zimmervermietung, die uns von einem Freund empfohlen wurde. Der Taxi Fahrer will uns direkt vor die Haustür fahren, doch wir haben keine genaue Adresse sondern nur einen Koordinaten-Punkt in einer Offline-Naviagations-App auf unserem Smartphone. Der Fahrer wird sichtlich nervös als wir ihm keine genaue Hausnummer geben können und nur den Namen „Casa de Alejandro“ wissen. Wir wollen in der Straße einfach aussteigen und uns selbst auf die Suche machen, doch dies scheint für den Taxifahrer keine Option zu sein, als wäre es für Touristen verboten einfach „irgendwo“ auszusteigen. Nach etwas Umherfragen findet er unseren Gastgeber und gibt uns persönlich dort ab. Alejandro und seine Mutter begrüßen uns herzlich und zeigen uns unser Gästezimmer in ihrem Haus. Danach müssen wir uns gleich mit Passnummer, Namen und Touristenvisum im Gastbuch registrieren. Alejandro muss diese Daten dann einschließlich Kopien von Pass und Visum innerhalb von einem Tag bei einer Behörde melden. In Kuba darf niemand ohne Anmeldung privat Ausländer übernachten lassen, selbst wenn es die eigenen Freunde sind. Ebenso ist es verboten, Ausländer im Privatfahrzeug mitzunehmen. Beherbergen geht zwar im eigenen Haus, doch nur im Rahmen eines angemeldeten Casa Particular, welches mit Steuerabgaben verbunden ist. Wir haben nicht herausgefunden wie hoch diese sind, nur dass sie „hoch“ sind. Die Preise für solch eine Unterkunft beginnen bei $20, meist $25 pro Nacht für ein Doppelzimmer. Es ist die günstigste Art von Unterkunft in Kuba und dennoch für uns eine der teuersten auf unserer Reise. Beim Umherlaufen durch Havanna haben wir später viele solcher Häuser gesehen. Sie sind mit einem speziellen Symbol gekennzeichnet und sind eine schöne Alternative zu den teureren Hotels, da sie mehr Integration in das Alltagsleben bieten. Man kann übrigens auch spontan ein Zimmer finden ohne vorher zu buchen.
Wir fühlen uns jedenfalls wohl bei Alejandro in dem Haus mit den hohen Decken und den altmodischen, dunklen aber edlen Möbeln. Es ist zudem sauber und aufgeräumt. Vor der Haustür auf der Veranda steht ein Schaukelstuhl, indem wir in nächster Zeit Alejandro oder seine Mutter öfters antreffen werden.
 
Die erste Erkundungsrunde unternehmen wir im umliegenden Stadtviertel, welches sich circa 2 Kilometer westlich vom historischen Zentrum, nahe der Universität befindet. Bereits hier in der Straße in welcher Alejandro wohnt, ist die Baufälligkeit der Wohnhäuser auffällig. Auf der Hauptstraße springt uns das Leben dann förmlich entgegen. Menschen sitzen am Straßenrand und unterhalten sich, Straßenhändler verkaufen Obst und Gemüse an ihren Ständen auf Rädern, Leute telefonieren an Wandtelefonen, Kinder spielen Ball und fahren auf Rollbrettern und Rikscha Fahrer werben um Kunden. Die Atmosphäre ist lebendig aber entspannt. Es sind einige Menschen unterwegs aber es wirkt nicht so hektisch wie wir es aus den Städten Zentralamerikas kennen.
 
Oftmals überdacht ein Vorsprung der Häuser die Fußgängerwege, sodass wir den Straßen zwischen Häuserwand und Steinsäulen folgen. Für diese Schattenspender sind wir in der Hitze immer dankbar und auch viele Kubaner nutzen diese um sich vor der starken Sonne zu schützen. In einem kleinen Park findet gerade eine Tanzstunde bzw. -probe statt. Frauen und Männer tanzen gemeinsam in der Abendsonne nach Musik, die vor Ort live von einer Musikgruppe gespielt wird. Hier tummeln sich viele einheimische Zuschauer und wir scheinen die einzigen Touristen zu sein. Wir setzen uns dazu und beobachten eine Weile die rhythmischen Bewegungen der Tänzer. Solch einen lebendigen und friedlichen Park würden wir uns für Deutschland auch mal wünschen.
 
Etwas weiter die Straße hinunter treffen wir auf den Malecon, welcher Uferpromenande und Paradestraße zugleich ist. Die Straße und der Fußweg am Meer sind großzügig angelegt. Viele Menschen tummeln sich hier, sitzen auf der Mauer, flanieren, erzählen, singen und genießen die Abendsonne. Auch hier herrscht eine lebhafte, aber dennoch entspannte Stimmung. Der Malecon ist bei Touristen für Ausfahrten mit einem der blankpolierten amerikanischen Oldtimer(taxis) beliebt, die wir hier entsprechend oft sehen. Weiter weg können wir schon die Kuppel des Kapitolios erkennen, welches dem Anschein nach dem weißen Haus nachempfunden ist. In die andere Richtung blickend sehen wir typische sozialistische Plattenbauten und Denkmäler.
 
Auf der Suche nach Wasser machen wir Bekanntschaft mit dem was uns in nächster Zeit in Kuba erwarten wird: kleine Einkaufsläden, in denen es fast nichts gibt. Wir wurden vorher schon gewarnt, dass wir uns lieber ein paar Müsliriegel und Snacks mit auf die Insel nehmen sollten. Das Angebot der Läden scheint sich tatsächlich auf folgende Dinge zu beschränken: Tomatensauce, Oliven, Nudeln, Maggi-Fertigsuppen, Speiseöl, Fruchtsäfte, diverse Süßigkeiten, Chips, Bier und wenn man Glück hat Brötchen. Gefühlt ein Drittel der Regale steht voll mit Havanna Club Rum verschiedener Altersklassen und Flaschengrößen. Obst und Gemüse gibt es beim fliegenden Straßenhändlern oder auf Märkten zu kaufen. Das Angebot beschränkt sich dabei fast immer auf Bananen, Papaya, Ananas, Mango und Guayabana sowie Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Bohnen, Paprika und Gurken. Uns stellt sich schnell die Frage was die Einheimischen hier täglich essen. Auf der Suche nach Mittag- oder Abendessen in der Stadt, finden wir immer nur die gleichen Dinge: Schinken-Käse Sandwiches (nicht lecker) sowie Pizza und Spaghetti. Für Touristen gibt es durchaus Restaurants mit vielfältigerem Angebot, doch liegen diese deutlich über unserem Budget. So schlagen wir uns die Tage mit immer wieder den gleichen Mahlzeiten durch und versuchen unseren Speiseplan mit Früchten aufzuwerten. In unserer europäischen Gesellschaft kann man sich nicht mehr vorstellen, wie es ist, wenn die Läden fast leer sind und die Auswahl so stark beschränkt ist. Dies bezieht sich nicht nur auf Lebensmittel.
 
Im Zentrum der Landeshauptstadt stoßen wir auf „Einkaufszentren“. Ein Beispiel des Angebotes: Im Erdgeschoss stehen eine Couchgarnitur, einige Plastikwaren wie Eimer und Besen, Toilettenschüsseln, Spitzhacken, Lappen und Schuhsohlen und die Hauptattraktion ist ein riesiges Angebot an Flüssigseife. In der zweiten Etage stehen ein paar Vitrinen mit gebrauchten Ersatzteilen für Fahrräder und Klempner Bedarf. Im Schaufenster des Musikladens um die Ecke ist die Schallplatte „Bad“ von Michael Jackson das Highlight. In den wenigen Bekleidungsgeschäften hängen altbackene Klamotten, die nicht mal mehr meiner Oma gefallen würden. In einem Elektrowarengeschäft stehen in den Regalen vereinzelt Toaster und andere Küchengeräte, hier mal ein Föhn, dort mal ein Radio. Da hat man zumindest keine Entscheidungsschwierigkeiten.
 
Wir unternehmen ausgedehnte Spaziergänge durch die Stadt und können die Kameras dabei kaum aus der Hand lassen. Zu viel ist auf den Straßen los, zu viele Dinge kennen wir in Deutschland nicht mehr. Leute reparieren ihre Autos am Straßenrand, Kinder spielen in großen Gruppen Spiele mit Gummibällen und Murmeln und malen dafür Muster aus Kreidestrichen auf die Straße, Mütter stillen ihre Babys, Körner liegen zum Trocknen aus, Suppentöpfe köcheln, Rikscha-Taxis fahren Menschen und Haushaltsgegenstände umher, Männer spielen auf dem Fußweg Domino, Leute sitzen vor ihren Türen oder auf Bänken und unterhalten sich, zum Teil in sehr angeregten und lautstarken Diskussionen, rollende Händler verkaufen ihre Waren, … die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Besonders die Domino-Spiele auf der Straße, bei denen meistens vier Spieler am Tisch sitzen, sind faszinierend anzuschauen. Oftmals sind sie von mehreren weiteren Spielern umringt, die das Spielgeschehen aufmerksam verfolgen und es gibt sogar einen Mitschreiber, der die Punkte zählt und notiert, da manchmal um Geld gespielt wird. Es ist ein Gesellschaftsspiel welches fester Bestandteil der Lebenskultur von Havanna ist. Viele kleine Parks mit Sitzgelegenheiten fördern im Allgemeinen das Zusammentreffen von Menschen, was wir hier als sehr positiv wahrnehmen. Es ist eine ganz andere Stimmung, als wir sie von den bisher bereisten lateinamerikanischen Ländern kennen.
Auch wenn man in die kleinen Lädchen oder oftmals offenstehenden Wohnungen schaut, bietet sich jedes Mal ein interessantes Bild. An den Wänden hängen Fotos der Revolutionsführer, darunter meistens die von Fidel Castro, in jung oder alt. Gegenstände liegen herum, die bei uns aus einem Heimatkundemuseum stammen könnten, hier aber noch in Benutzung sind, wie zum Beispiel alte Obstwaagen, Radios, Schallplattenspieler, Blechkannen, Werkzeuge und Holzkisten. Die Einrichtungen wirken zum Teil verstaubt und manchmal verlassen, weil so wenige Dinge den Raum füllen.
 
Wir stoßen auf einen Wochenmarkt und beobachten die Kubaner bei ihren Einkäufen. Dutzende Ananas und Bananenstauden sind auf der Straße ausgebreitet, Leute tragen Eierpaletten nach Hause, das Fleisch liegt offen auf dem Stand und wird nach erfolgtem Einkauf direkt im großen Stück in den Stoffbeutel gesteckt. Der Tomatensaucen-Verkäufer wartet bei seiner Dosenpyramide auf Kundschaft, Zwiebeln und Kartoffeln werden direkt vom LKW verkauft, einige Verkäufer haben nur ein oder zwei Produkte im Angebot und all das passiert in praller Sonne zwischen den bröckelnden Fassaden der Gebäude. Es ist ein buntes Treiben und die Menschen nutzen den Marktbesuch gleichzeitig für Gespräche und pflegen soziale Kontakte.
An einem anderen Tag erkunden wir den alten Stadtkern Havannas, in dem sich die meisten Touristen aufhalten. Wir kommen vorbei am Kapitolio, an dem uns ständig jemand eine Taxifahrt mit einem der Oldtimer anbietet, und einigen alten Festungen (Castillos). Nach kurzer Zeit haben wir von dem für den internationalen Tourismus aufgehübschten Stadtteil genug und gehen wieder dorthin, wo sich das viel interessantere Leben der Einheimischen abspielt.
 
Von den ganzen Eindrücken und dem vielen Laufen sind wir abends immer ziemlich fertig. Die Hitze macht uns außerdem zu schaffen. Es ist auch nicht einfach Trinkwasser zu finden. Große 1-Liter Flaschen finden wir selten und sie sind mit umgerechnet circa einem Dollar vergleichsweise teuer. Nach einigen Stunden Umherwandern sind wir jedes Mal froh, wenn wir in unserer Unterkunft die Klimaanlage anmachen und unter die kalte Dusche springen können. Mir macht die Hitze besonders zu schaffen, auch wenn ich von Zentralamerika schon einiges gewöhnt war. Die ständige Wärme macht tatsächlich träge und man hat eigentlich keine Lust sich großartig zu bewegen oder über irgendetwas nachzudenken. Da kann man schon verstehen, das in den Ländern mit diesem Klima die Uhr langsamer tickt und die Menschen lieber entspannt im Schaukelstuhl sitzen als produktiv zu sein.
 
Im alten Präsidentenpalast des ehemaligen Diktators Batista, der von Castro gestürzt wurde, befindet sich das „Museo de la Revolucion“. In diesem Museum wird die aus der Sicht ihrer Anführer erfolgreiche Geschichte der Revolution dargestellt. Die Darstellung ist natürlich recht einseitig und teilweise heroisch. Es gibt weder eine chronologische Aufarbeitung von Geschehnissen und Fakten zum Ablauf der Revolution, noch irgendeine Art gesamtgeschichtliche Betrachtung. Interessant ist es dennoch. Viele Fotos, Zeitungsartikel und Diagramme sind eher zusammenhangslos in den Schaukästen aufgehängt. Einige persönliche Gegenstände von Ernesto „Che“ Guevara und Camilo Cienfuegos, wie Schuhe oder eine Kamera, sind ebenfalls ausgestellt. Auch blutbefleckte Kleidung von Aufständischen können wir betrachten. Über die Invasion der Schweinebucht gab es mehrere akribisch genaue Landkarten mit markierten Positionen der Revolutionäre und ihrer Gegner zu sehen. Ebenso mangelt es nicht an Darstellungen über die Errungenschaften von Fidel Castro und seiner Partei. Plakate mit Parolen sowie Wimpel und Ansteckpins wie man sie aus DDR-Zeiten kennt, sind ebenfalls zu sehen und muten propagandistisch an. Eine Errungenschaft schreibt sich die Partei besonders auf die Fahnen: mit dem Analphabetisierungsprogramm hat man die Analphabetenrate nahezu gegen Null gebracht. Wobei hinzuzufügen ist, dass der Analphabetismus auch vor der Revolution schon vergleichsweise niedrig und der allgemeine Bildungsstandard in Kuba sehr hoch war. Etwas belustigend ist der „Rincon de los Cretinos“ – „die Ecke der Schwachköpfe“. In diesen mannshohen Karikatur-Darstellungen „dankt“ man dem ehemaligen kubanischen Diktator Fulgencio Batista und den Ex-US-Präsidenten R. Reagon, G. Bush Sr. und W. Bush, dass sie die Revolution erst nötig und später den Sozialismus unwiderruflich gemacht haben. Im Außenbereich des Museums kann man altes Kriegsgerät und die „Granma“ besichtigen, jene Yacht, mit der unter anderen die Castro-Brüder und Guevara damals Kuba von Mexiko aus erreichten um die Revolution zu starten. Auch wenn das Museum eher eine Ansammlung von Zeitungsartikeln ist, welche nicht chronologisch und recht einseitig die Geschichte betrachten, ist es einen Besuch allemal wert.
 
Havanna hat für uns gefühlt zwei Parallelwelten: Auf der einen Seite bietet es Motive mit den glänzenden amerikanischen Oldtimern und den spanischen Kolonialbauten im Hintergrund. Jene Motive, für die Touristen aus aller Welt herkommen. Im Kontrast dazu stehen die alten „Russenautos“, welche in Kombination mit den Plattenbauten und zahlreichen sozialistischen Denkmälern sowie Macht-Demonstrationsbauten an Fotos aus der ehemaligen UDSSR erinnern.
Einige der Wohnstraßen in Havannas Innenstadt versprühen einen ganz besonderen Charme. Bunte Hauswände, verzierende Steinmuster, kunstvolle Fenster- und Balkongitter, Blumentöpfe und die lebhaften Szenen tragen ihren Anteil dazu bei. Schade ist, dass der Zerfall der Gebäude der Stadt, besonders von den Wohnhäusern, so stark vorangeschritten ist. Bröckelnde Fassaden, eingestürzte Dächer, absturzgefährdete Balkone, Schuttberge auf den Straßen und auch klaffende Löcher in den Fußwegen sind keine Seltenheit. Die Baufälligkeit ist erschreckend, zumal die „Ruinen“ zum Teil noch bewohnt sind. Hinzu kommen die vielen stinkenden Müllhaufen, die das ärmliche Bild noch verstärken.
 
Interessant für uns persönlich war, dass wir uns manchmal fühlten, als wären wir schon einmal hier gewesen und oftmals fühlten wir uns an unsere eigene Kindheit erinnert. Auch wenn wir noch recht jung waren, als die Mauer 1989 fiel, spüren wir doch gewisse Parallelen zwischen dem Sozialismus heute in Kuba und damals in der DDR. Zum einen mag es an der Optik liegen: so erinnert uns der Baustil manchmal an Dresden und Berlin, seien es die Wohnhäuser, die Villen in den Randbezirken, der Plattenbau oder der Stil der Parks sowie der Außenanlagen. Die Autos und Motorräder aus Zeiten der ehemaligen Sowjetunion tragen ebenfalls dazu bei. Zum anderen sind es alltägliche Aspekte wie Schlange stehen, spärlich ausgestattete Schaufenster, der Geschmack von Essen und Improvisationen. Ich konnte es mir zum Teil selbst nicht erklären, es war als würden Erinnerungen aus dem tiefsten Unterbewusstsein wieder hochkommen.
 
Dies waren unsere ersten Eindrücke, die wir in Havanna gesammelt haben. Im nächsten Beitrag geht es weiter mit einem Besuch auf dem Land, in der Provinz Pinar del Rio.
 


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