You have to think like a cow – Teil 1

Unsere Zeit auf einer Ranch in Montana
 
Tag 1 – Do, 28.08.2014
 
Wir fahren über den Beartooth Pass aus dem Yellowstone Nationalpark heraus und befinden uns hinter den Bergen plötzlich im Ranch- und Weideland Montanas. Rinderherden grasen auf großen Weideflächen und ab und an erblickt man zwischen ihnen einige Pferde. Wir fahren vorbei an rustikalen Farmhäusern und Ranch-Einfahrten, die eine gewisse Cowboy-Romantik entstehen lassen. Hier werden wir uns eine Weile aufhalten: Gail, unsere erste SERVAS Gastgeberin aus Anchorage, hatte uns den Kontakt zu ihrem Bruder vermittelt, welcher hier mit seiner Familie eine Ranch betreibt.
 
In der Abendsonne suchen wir nun die richtige Hausnummer auf der langen kurvenreichen Straße. Das Hausnummernsystem in den ländlichen Gebieten der USA folgt seiner eigenen Logik, die wir noch nicht erkannt haben und das Navigationssystem sowieso nicht. So fahren wir zum Teil im Schritttempo an den einsamen Briefkästen vorbei, um nach der richtigen Nummer zu suchen. Hoffentlich schaffen wir es noch vor Sonnenuntergang, denn im Land der bewaffneten Selbstverteidigungsexperten möchten wir nicht im Dunkeln aus Versehen auf den falschen Hof fahren. Nach einigen Meilen auf dieser Straße werden wir fündig. Wir biegen auf die Schottereinfahrt ab, die Gatter sind offen, die Stangen des „cattle stops“ (im Boden eingelassenes Gitter, welches Vieh nicht übersteigen würde) klappern unter unseren Reifen. Wir befinden uns nun zwischen verschiedenen Landmaschinen und Scheunen und suchen das Haupthaus. Wir entdecken es hinter dem Creek (Fluss) und überfahren die einspurige Brücke. Es ist niemand da. Plötzlich ertönt Hundegebell: zwei Hunde rennen auf uns zu. Sie scheinen uns als harmlos eingestuft zu haben, denn sie schmeißen sich vor uns auf den Boden und wollen gekrault werden. Wir wandern auf dem Hof herum und warten. Dann biegen zwei Pick Up Trucks mit großen Anhängern in die Einfahrt.
 
„Ooly?“, „Steven?“ Roger springt aus dem Truck und begrüßt uns lachend – ok, wir haben die richtige Ranch erwischt. Wir schütteln kurz die Hände und dann helfen wir Roger, die Viehgatter vom Trailer zu heben. Nun geht es gleich zur Sache: die nächsten Kühe müssen mit ihren Kälbern für den Transport zu einer saftigeren Weide in den Trailer verladen werden. Die Kälber müssen vor dem Winter möglichst viel Gewicht gewinnen. Im Gatterlabyrinth sortieren wir sie vor und leiten sie durch taktisches auf öffnen und schließen der Tore in den Trailer. „You have to think like a cow“ ruft Roger zu uns rüber, „then you know how to work with them“. Eine Kuh mag natürlich nicht freiwillig in einen dunklen engen Anhänger gehen. Am Ende müssen wir sie mit abgerundeten Plastikstöcken in den Hintern stupsen. Für hartnäckige Fälle gibt es auch Stöcke mit Elektronenfluss, von denen man aber nur selten Gebrauch macht. Bis in die Nacht sind wir mit Roger und seiner Frau Janet beim „Cow-Hauling“ (Kuhtransport) beschäftigt und versuchen uns nützlich zu machen. Ich fahre mit Janet im Ford F350, Stephan fährt mit Roger im Ford F450 (beide Fahrzeuge haben jeweils einen 6.3 Liter Dieselmotor) und so erfahren wir jeweils Interessantes über das Farmleben und lernen unsere Gastgeber ein wenig kennen.
 
Auf der letzten Rückfahrt rennt im Dunkeln ein Hirsch vor den Truck von Roger und Stephan und prallt gegen die Front. Es hat wohl mehrmals gerumpelt, doch am angebauten Stahl-Stoßfänger war später nicht einmal eine Schramme zu sehen. Ein „normales“ Auto hätte bei solch einem Zusammenstoß einen Totalschaden gehabt. Im Dunklen leuchten hier in der Gegend viele Augen im Scheinwerferlicht auf, weswegen wir Fahrten in der Dämmerung und bei Nacht mit den Motorrädern vermeiden. Es gibt ein spätes Abendessen: Rindfleisch, Kartoffelbrei und Möhrengemüse. Es schmeckt lecker und tut gut. Ein aufziehender Sturm bringt ein Blitzlichtgewitter mit sich, doch nach diesem erlebnisreichen Tag schlafen wir schnell ein, obwohl wir gern noch die Blitze fotografiert hätten.
 
 
Tag 2 – Fr, 29.08.2014
 
Wir beginnen den Tag damit Kühe zu sortieren, denn noch sind nicht alle Kühe auf der neuen Weide. Roger sucht jeweils ein Paar, Kuh und Kalb, heraus und versucht sie von der Herde zu trennen. Unsere Aufgabe ist dann diese am Zurückkehren zur Herde zu hindern, durchs Gatter zu treiben und die anderen Kühe daran zu hindern nachzukommen. Nr. 501, ein Jungbulle, war besonders hartnäckig und ließ sich nicht so schnell vertreiben. Im nächsten Arbeitsschritt trennen wir die Kühe von den Kälbern. Dann werden die Kühe in den größeren Trailer geladen, die Kälber in den kleineren und gemeinsam zur anderen Weide gefahren. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das Kalb immer mit seiner Mutter, von der es noch gesäugt wird, auf der gleichen Weide ist. Es gibt ein paar Unterbrechungen an diesem Tag: der F450 Diesel ist trocken gefahren: der Kraftstofffilter muss gewechselt werden. Dieser liegt natürlich zu Hause, also müssen wir in einem Truck zurück fahren.
 
Zum Mittagessen werden wir von Roger und Janet in ein liebevoll im Cowboy-Stil eingerichteten Cafe in dem kleinen Ort Roberts eingeladen. Nach einem Cheeseburger mit Pommes und Tator Tots (Kartoffelecken) geht die Arbeit weiter. Wieder zurück auf der Ranch entdecken wir, dass einige Kühe einen Zaun überrannt haben. Bevor noch mehr Kühe ausbrechen, wollen wir sie zurücktreiben und in ein anderes Gatter sperren. Wir versuchen also gemeinsam mit Roger die Kühe einzukreisen und zurück zum Hof zu leiten. Beim ersten Versuch rennen sie an uns vorbei zur anderen Seite des Feldes. Also machen wir uns auf den Weg zur anderen Seite. Da die Tiere bereits in höchster Aufmerksamkeitsstufe sind, gefällt ihnen auch diese Annäherung nicht. Sie laufen weiter den Berg hinab. Um sie dort abzufangen bewegen wir uns eiligen Schrittes dorthin. Das war zu viel. Die kleine Herde verfällt in Panik und die ersten Tiere beginnen einen schon etwas durchhängenden Stacheldrahtzaun zu überspringen. Von weitem beobachten wir beschämt unser eigens angerichtetes Desaster. Schnell laufen sie auf das Nachbarfeld und sind bald hinterm Hügel verschwunden. Wir fühlen uns wie die letzten Großstadttrottel und gehen mit gesenktem Kopf zurück. Wir haben eben nicht wie Kühe gedacht. Roger und Janet satteln schon die Pferde. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen sie endlich wieder hinterm Berg hervor und die Kühe trotten zurück in den Verschlag. Weiter geht es mit dem Kuhtransport. Hoffentlich können wir nun wieder mehr helfen als Schaden anzurichten.
 
Als wir abends alle zurück zum Haus kommen, warten bereits die beiden Hunde Tom und Jerry auf uns. Im Küchenlicht erblicken wir das Übel: Jerry hat in ein Stachelschwein gebissen und schaut beschämt zu uns rüber. Seine Schnauze ist voller Stacheln. Es sieht zunächst lustig aus, doch die darauf folgende Prozedur ist alles andere als das. Während Roger und Stephan den Hund festhalten, versuche ich mit einer Zange die Stacheln zu greifen und aus dem empfindlichen Maul zu ziehen, Stachel für Stachel, circa 15-20 Stück. Ich habe noch nie einen Hund so vor Schmerz und Angst jaulen hören und zittern sehen. Es wird zur Tortur, denn Jerry windet sich mit allen Kräften und es fällt immer schwerer ihn festzuhalten und die Stacheln zu greifen. Nun kommt auch noch Janet zu Hilfe, sodass wir zu viert damit beschäftigt sind, den Hund von den fiesen Dingern mit den kleinen Widerhaken zu befreien. Tom versucht seinem Bruder beizustehen. Er weiß genau was los ist, hat er doch selbst schon Bekanntschaft mit einem Stachelschwein gemacht. Nach diesem aufwühlenden Erlebnis zaubert uns Janet wieder ein reichhaltiges Abendbrot und dann geht es ab ins Bett.
 
 
Tag 3 – Sa, 30.08.2014
 
Nach dem letzten Kuhtransport machen wir uns an den Reifenwechsel. Die Heidenau K60 Scout Hinterradreifen sind nach 12.000km nun doch recht abgenutzt und so haben wir uns über das Internet neue Reifen bestellt. Im alten Pferdestall geht es zur Sache: mit Hilfe von C-Clamps (Schraubzwingen) zwingen wir die alten Reifen von der Felge, wobei uns Roger wie selbstverständlich tatkräftig unterstützt. Diesmal klappt alles und wir freuen uns über zwei Motorräder, die wieder etwas mehr Profil auf dem Hinterradreifen haben. Am Abend zeigt uns Roger einen seiner Lieblingsfilme: „The Sound of Music“. So sitzen wir also in Montana neben einem echten Cowboy auf dem Sofa und schauen uns ein Filmmusical aus den 50ern an, welches in den österreichischen Alpen spielt. Dies gehört auch zu den Momenten, die wir so schnell nicht vergessen werden.
 
 
Tag 4 – So, 31.08.2014
 
Nach dem Motorölwechsel an unseren Bikes, den wir wieder im Pferdestall durchführen, instruiert uns Roger im Heuballen-Transport. Sein F450 hat eine spezielle hydraulische Vorrichtung mit der man zwei Heuballen (je ca. 600kg) verladen kann. So sammeln wir die nächsten Tage viele davon vom Feld und legen sie in langen Reihen ab. Die Hunde rennen ab und zu neben dem Truck her und wir hören nebenbei einem Radiosender zu, der amerikanische Musik aus den 70ern und 80ern spielt. Die Sonne zaubert hinter den Regenwolken einen Regenbogen in den Himmel und wir freuen uns schon auf die Meatballs zum Abendbrot.
 
 
Tag 5 – Mo, 01.09.2014
 
Wir sammeln wieder Heuballen ein bis es zum 11 Uhr Imbiss Ice Cream mit Schokoladensauce gibt. Danach machen wir uns daran die Pferde zu satteln. Gemeinsam mit Roger machen wir unseren ersten Ausritt. Es ist so lange her, dass ich mal auf einem Pferd saß und für Stephan war es abseits einer Ponyrunde das erste Mal. Die Pferde werden normalerweise zum Kühe treiben genutzt und sind es daher gewohnt, sobald sie auf das Feld kommen, los zu galoppieren. Um zu vermeiden, dass sie mit uns beiden unerfahrenen Reitern durchgehen, hält sie Roger von seinem Pferd aus zunächst am langen Seil. Die Westernsattel sitzen sich angenehm, schließlich sitzen die Cowboys stundenlang auf dem Pferd und müssen damit arbeiten. Wir reiten über das Feld und später zweimal durch den Creek (Fluss). Das Wasser steht den Pferden bis zum Bauch, sie stolpern etwas hinein und ich sehe uns schon fast schwimmen, doch sie finden ihren Weg. Mit dem Motorrad wäre das schon schwieriger geworden. Zurück an der Scheune, frage ich ob wir innerhalb des Zaunes noch etwas reiten dürfen (ohne Leine) – ich möchte ausprobieren wie ich das Pferd lenken kann und zumindest mal in den zweiten Gang (Trab) schalten. Später nimmt mich Roger nochmal mit aufs Feld und wir probieren den 3. Gang aus. Ich habe vergessen wir anstrengend es ist, sich beim Galopp im Sattel zu halten, besonders wenn man nicht geübt darin ist. Anfangs plumpse ich nur so in den Sattel zurück – was nicht gut ist für Rücken von Pferd und Reiter – später bessert es sich etwas, doch es ist immer noch etwas krampfig. Eine Pferdestärke unterm Hintern unter Kontrolle zu halten ist schwieriger als unsere gewohnten 48 auf zwei Rädern. Auch gibt es keine Kupplung um den Kraftfluss zu trennen, geschweige denn einen Not-Aus-Schalter.
 
Nach dem Reitausflug geht’s zurück aufs Feld zum Traktor fahren. Nach einer kurzen Einweisung im Fahrerhaus, einschließlich der Bedienung des angehangenen Rechens, springt Roger aus dem Traktor und ruft noch zu mir rüber „don’t panic“ – ich verstehe aufgrund der lauten Motorengeräusche sowas wie „don’t pin it“ – was auch Sinn macht, denn mit dem Rechen kann man nicht zu eng um die Kurve fahren, da er sich sonst verkeilen würde. Für jede Wendung muss ich den Rechen hochfahren. Mit der Aufgabe, das geschnittene Heu auf dem Feld von zwei Reihen zu einer zusammenzuführen und dabei den Rechen nicht in den Boden zu „pinnen“, zuckle ich in immer enger werdenden Rechtecken übers Feld. Die Heuballenmaschine hat es dann später einfacher zum Aufsammeln. Roger produziert mit der Heuballenmaschine immer mehr Heuballen und Stephan sammelt diese dann mit dem F450 ein. Es macht Spaß in so einer großen Maschine übers Feld zu ackern, doch wer weiß wie lange es dauern würde, bis einem das über ist. Nach getaner Arbeit ist die Sonne fast weg, wir reiten noch ein kleines Stück und satteln danach die Pferde ab.
 
 


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