Mexiko – Baja California

29.11.-10.12.2014
 
Die innere Aufregung kann ich nicht verhindern. Früh am Morgen wollen wir die Grenze nach Mexiko überqueren. Von diesem Land haben wir viel Schlechtes, aber auch einiges Gutes gehört. Wir haben uns für die kleinere Grenzstadt Tecate entschieden, da Tijuana und Otay Mesa stark frequentierte Grenzübergänge sind und wir uns die Fahrt durch das derzeit „gefährliche“ Tijuana sparen wollen. Die Stadt ist in letzter Zeit von einer höheren Kriminalitätsrate betroffen und wir wissen noch nicht wie gut wir uns in mexikanischen Städten zurechtfinden werden. Da wir schnell aus dem Grenzgebiet heraus und Strecke in Richtung Süden machen wollen, möchten wir durch Umherirren keine Zeit verlieren.
 
Wir fahren über die Grenze und niemanden interessiert es. Plötzlich sind wir in einer mexikanischen Kleinstadt. Kommt da noch was und fragt uns noch jemand nach unserem Reisepass? Wir drehen wieder um und fahren zurück zum Grenzposten. Der Wachsoldat mit dem Maschinengewehr schaut uns etwas skeptisch an und wir erklären dass wir noch ein Touristen Visum und Genehmigungen für unsere Fahrzeuge benötigen. Schnell wird mit Kegelhütchen auf der Straße ein Parkplatz für unsere Bikes kreiert und wir laufen zurück über die Grenze. Wir füllen das FMM Formular aus, bezahlen die Visumgebühr und bekommen direkt ein 180-Tage Visum. In die Baja California darf man Fahrzeuge ohne Erlaubnis einführen, für die anderen Bundestaaten, die wir durchfahren müssen, brauchen wir eine spezielle Bescheinigung. Diese wird von der Staatsbank Banjercito ausgestellt und es ist ein Deposit zwischen 200 und 400 USD zu hinterlegen, welches man bei der Ausreise mit dem Fahrzeug wiederbekommt. In Tecate könne man uns dies zurzeit leider nicht ausstellen, aber später in La Paz gäbe es die Möglichkeit. Na hoffentlich stimmt das, denke ich mir, denn bis dorthin sind es noch 1500km und für die Überfahrt nach Mazatlan brauchen wir in jedem Fall diese Erlaubnis.
 
Schnell finden wir den Highway 3, den wir nach Süden hinunter fahren wollen, bis wir auf den Highway 1 stoßen. Nach kurzer Zeit endet jedoch die Straße aufgrund einer Baustelle und natürlich gibt es keine Hinweise für eine Umleitung. Also biegen wir rechts ab und wir müssen doch ein wenig durch die Stadt zuckeln. Das Navigationsgerät ist nicht sonderlich hilfreich, doch bald finden wir die Stelle hinter der Baustelle und weiter geht die Fahrt.
 
Es ist als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Aus dem reichen Südkalifornien kommend, befinden wir uns nun in einer ärmlichen mexikanischen Kleinstadt. Viele Straßen sind gar nicht erst asphaltiert, die Anstriche der Häuser sind verblasst und wirken schmutzig. Hier und da liegt Müll herum und zerzauste Hunde kreuzen herrenlos die Fahrbahn. Der Bus vor mir stinkt und klappert. Erstmal schauen wir, wie das hier mit der Vorfahrt funktioniert. Aha, ähnlich wie wir es vorher gelesen haben: Vorfahrt hat entweder der Stärkere oder derjenige, der keine Lust hat zu warten. Doch das Chaos scheint organisiert und mit unserem defensiven Fahrstil kommen wir gut zurecht.
Wir durchfahren auf dem Weg nach Süden kleine Ortschaften, die uns schon fast an die Zustände in Nepal erinnern. Hier sieht es zum Teil aus wie bei einer Kulisse für Weltuntergangsfilme. Es gibt eine einzige asphaltierte Straße, also die Landstraße, die durch den Ort führt und rechts und links geht es direkt auf Schotter oder Sandboden weiter. Die Häuser bzw. Hütten sehen meist heruntergekommen oder improvisiert aus. Das Leben scheint draußen auf der Straße stattzufinden. Viele Leute sitzen vor ihren Häusern herum und Straßenhändler bieten ihre Waren an. Dieses Bild ändert sich jedoch etwas, je weiter wir nach Süden fahren. Nahe der Grenze scheinen die Menschen besonders schlimm von Armut betroffen zu sein.
 
In Ensenada tausche ich in einer Wechselstube US-Dollar in mexikanische Pesos ein. Der Mann hinter dem Schalter ist sehr freundlich und fragt mich ob ich Wein trinke. Etwas verwirrt verneine ich dies, schließlich will ich mich auf das Wechselgeld konzentrieren. Dann fragt er mich mit Blick nach draußen ob mein Mann Wein trinkt. „Manchmal“, sage ich und darauf hin schenkt er mir einen kleinen Korkenzieher. Das Wechselgeld stimmt.
 
Die erste Nacht zelten wir wild. Wir fahren eine Zufahrtsstraße zu einem Nationalpark rein und suchen von dort aus nach kleineren Wegen. Nach ca. 25 km entscheiden wir uns für eine kleine Bergstraße neben einem Feld und bauen etwas höher gelegen unser Zelt auf. Der Blick in die grün-braunen Berge ist schön und wir erkunden noch einige der vielfältigen Kakteen, bevor wir uns ans Kochen und Zeltaufbauen machen.
 
Der Highway 1, der sich von Nord nach Süd ca. 1700km durch die gesamte Halbinsel zieht, ist in einem erstaunlich guten Zustand. Es gibt keine Schlaglöcher und die Straße ist stets sauber. Circa alle 300km gibt es stationäre Militärkontrollen, wo bewaffnete Soldaten den Durchgangsverkehr kontrollieren. Wir fahren immer langsam heran, klappen das Visier hoch, lächeln freundlich und grüßen, und so wurden wir immer durchgewunken. Nur einmal mussten wir südlich von La Paz einen Seitenkoffer aufmachen. Nach einem oberflächlichen Blick des Soldaten in den Koffer durften wir weiter fahren.
 
Wir dachten, dass wir inzwischen schon einiges an Landschaften gesehen haben, doch hier auf der Baja California bieten sich uns wieder völlig neue Anblicke. Wir fahren vorbei an riesigen Kakteen, vielleicht 8m hoch. Sie werden immer zahlreicher und bald befinden wir uns in einer Kakteen-Steinwüste. Schaut man genauer hin, ist die Vielfalt der Flora überwältigend. Zwischen den Riesen-Kakteen, deren Namen wir derzeit noch nicht kennen, stehen verschiedenste kleine und mittelgroße Kaktusgewächse. Lang und dünn, kurz und dick, breit und rund, mit langen oder kurzen Stacheln, verschiedene grün und braun Töne… je länger wir hinschauen, desto mehr Arten entdecken wir.
In der zweiten Nacht war unser Zeltplatz nicht so gut gewählt. Wir sind in eine Schotterstraße abgebogen und haben uns nahe der Piste hinter einer Gruppe von Büschen niedergelassen. Mit Anbruch der Dunkelheit kam dann das ein oder andere Auto vorbei, wobei wir uns jedes Mal gefragt haben, warum die Leute so spät noch hier lang fahren. Ab 18 Uhr war es stockduster, sodass es bis zum Morgengrauen 12 Stunden lang hieß im Zelt zu verweilen. Selbst zwischen Mitternacht und morgens 4 Uhr kam noch das ein oder andere Auto entlang, welches mich jedes Mal aus dem unruhigen Halbschlaf gerissen hat.
 
Es gibt auch einige langweilige Abschnitte auf der Baja, die sich durch scheinbar endlose Geradeausfahrten und unspektakulärer Landschaft auszeichnen. Endlich, eine kleine Bergkette. Wir erkennen von weitem die Straße, die sich hinaufschlängelt und entscheiden uns zur Zeltplatzsuche dort hochzufahren. Wir schrauben uns auf die Sierra de San Francisco hinauf und genießen in der stimmungsvollen Abendsonne eine wunderbare Aussicht in Canyons und auf der anderen Seite in die weite Ebene. Leider ist rechts und links von der Straße alles eingezäunt oder steinig und somit ungeeignet für ein Zelt. Auf der Straße begegnen uns innerhalb von zehn Minuten Kühe, eine Gruppe von Pferden und schließlich noch eine Schafherde. Ganz schön viel Verkehr hier. Fahren wir nun diese Straße weiter oder mindestens eine Stunde bis zur nächsten Stadt, um dort eine Unterkunft zu suchen?
 
Eine „Rancho“ (Bauernhof) liegt auf der Strecke in den Bergen und hier fragen wir, ob wir unser Zelt aufschlagen dürfen. Rogelio und Rogelio Junior begrüßen uns sehr freundlich und geben uns sofort eine Zusage. Erleichtert lassen wir uns unter einem großen Kaktus nieder. Später kommen die beiden noch mal zu uns und fragen uns ob wir noch etwas brauchen. Am Morgen laden sie uns zu einer Tortilla mit frischem hausgemachtem Ziegenkäse ein und wir unterhalten uns in der karg eingerichteten Küche. Über dem Küchentisch hängt ein riesiges Bild vom „Letzten Abendmahl“. Wir unterhalten uns mit einigen Worten Spanisch und etwas Englisch über unsere Reise. Rogelio fragt uns wie viel zum Beispiel die Motorräder kosten. Für die beiden mexikanischen Bauern ist die genannte Summe unvorstellbar. In ihren Augen sind wir extrem reich. Die Wertunterschiede zwischen den beiden Währungen Euro und mexikanischen Pesos sind enorm. Ja, in Mexiko wären wir damit reich, in Deutschland nicht ganz so sehr. Es wird uns an dieser Stelle richtig bewusst, auf welchem Niveau wir Deutschen leben. Es ist eigentlich keine neue Erkenntnis, kennen wir doch die Berichte aus dem Fernsehen über arme Länder. Doch den Fernseher konnten wir wieder ausschalten und uns unseren eigenen Problemchen widmen, während wir hier ständig mit der Armut konfrontiert werden.
 
Kurz vor Ciudad Constitucion ist plötzlich Stau. Wir fahren an der langen Schlange vorbei und erkennen schon von weitem eine Straßenblockade. Es scheint friedlich zuzugehen. Wir fahren bis vor und fragen den Polizisten was los ist. Vor einigen Wochen gab es in der Region einen extremen Hurrikan und die Regierung will kein Geld geben um für die Schäden und den Wiederaufbau zu bezahlen. Die Menschen wollen nun wissen wo ihre Steuergelder abgeblieben sind und demonstrieren. Der Polizist meint, wir sollen einfach mal fragen ob wir vorbei dürfen, da wir Reisende sind und damit eigentlich nichts zu tun haben. Also laufe ich zwischen die Traktoren, welche die Straßensperre bilden und Frage den Chef der Aktion mit meinem gebrochenen Spanisch ob wir mit zwei Motorrädern passieren dürfen. Er schaut mich etwas stutzig an, gibt mir aber dann die Erlaubnis. So schlängeln wir uns zwischen den Traktoren hindurch und haben wieder freie Fahrt.
 
In Ciudad Constitucion machen wir uns zum ersten Mal nach mehr als 6 Monaten Reise auf die Suche nach einem Hotel (abgesehen von 2 Nächten Hotel in Las Vegas). Für 200 Pesos (ca 11 Euro) finden wir eine Absteige. Nach dem wir die Bikes entladen haben, machen wir uns auf zu einem Spaziergang durch die Stadt.
 
Am nächsten Tag in La Paz kümmern wir uns zunächst um die Tickets für die Fähre nach Mazatlan. Wir fahren zum Hafen in Pichilingue und bekommen dort, wie von der Grenzbeamten damals gesagt, auch unsere Fahrzeugerlaubnis. Die Fähre fährt dreimal die Woche. Es ist Donnerstag und wir wollen die Tickets für nächsten Dienstag kaufen, sodass wir noch etwas Zeit haben, um die Baja Sur zu erkunden. Am Verkaufsschalter für die Fährtickets sagt man uns es wäre nicht möglich, dort die Tickets zu kaufen, da wir für die Bikes eine Bestätigung vom Zoll brauchen. Durch den Zoll fahren wir aber erst am Tag der Abreise. Auf der anderen Seite kann man die Tickets angeblich auch nicht am Tag der Abreise kaufen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Frau hinterm Schalter erklärt uns wir müssten zum Office von Baja Ferries fahren. Dort haben wir nach einiger Zeit endlich die Tickets in der Tasche. Der ganze Vorgang hat circa 2,5 Stunden gedauert.
 
Bei Cabo Pulmo finden wir dank eines handgemalten Schildes eine Unterkunft in der kleinen „Ferienanlage“ von Bill, einem Amerikaner. Er hat einige alte Wohnwagen als Übernachtungsplätze eingerichtet und nach etwas Verhandlung über den Preis ziehen wir in einen der Wohnanhänger mit Blick auf das Meer. Wir entscheiden uns hier zwei Nächte zu bleiben und haben somit endlich mal einen Tag „frei“ am Strand, ohne Umherfahren und zu warme Klamotten.
Wir lassen die Seele baumeln und treffen bei einem Strandspaziergang an einem Kliff auf hunderte Krabben. Am Abend raschelt es plötzlich im Gebüsch und später sehe ich im Mondschein etwas über den Boden huschen. Mit der Taschenlampe enttarnt, freuen wir uns nun auf die Gesellschaft von zahlreichen Einsiedlerkrebsen. Das sind diese kleinen Krebse, die sich verlassene Muschel- bzw. Schneckengehäuse suchen und darin umherlaufen.
 
Die Touristenhochburg Cabo San Lucas stellt sich für uns als uninteressant heraus, und so fahren wir an der Westküste wieder gen Norden. Von der Strecke sind wir etwas enttäuscht, denn die Straße ist quasi eine zweispurige Autobahn fernab des Ozeans. Bei einem kurzen Halt am Straßenrand treffen wir auf Fred, einem pensioniertem Amerikaner der auch Motorrad fährt. Er lädt uns spontan dazu ein, unser Zelt neben sein Haus zu stellen. Dort sei es sicher und wir sind direkt am Strand. Gerne nehmen wir das Angebot an und kommen so in den Genuss von weitem Wale zu sichten.
 
Wieder in La Paz zurück, kommen wir dank Couchsurfing bei Osmar unter. Er ist ein junger Student und begeistert sich für die Meereswelt alle möglichen Aktivitäten in und auf dem Meer, wie Tauchen, Schnorcheln, Kitesurfen… . Wir kochen gemeinsam Abendbrot und besprechen viele verschiedene Themen. Am nächsten Morgen heißt es leider schon wieder Abschied zu nehmen, denn wir haben einen Termin mit der Fähre. Laut Fährangestellter sollten wir um 15 Uhr vor Ort sein, da die Fähre um 17 Uhr ablegt. Typisch deutsch stehen wir um 14 Uhr überpünktlich im Hafen auf der Matte. Bloß nicht die Fähre verpassen. Das hätten wir uns sparen können. Nach 5 Stunden warten werden wir auf die Fähre gelassen und circa 21 Uhr legen wir ab. In Mazatlan sollte die Fähre um 10 Uhr morgens ankommen. Um 17 Uhr legen wir schließlich am Hafen in Mazatlan an. Es bleibt nun nicht mehr viel Zeit, um im Hellen noch eine Unterkunft in einer uns unbekannten mexikanischen Stadt zu finden. Da könnte man schon nervös werden, doch inzwischen haben wir gelernt, dass sich immer irgendeine Lösung findet.
 
Unsere Zeit auf der Baja war ein guter Einstieg in Mexiko und wir hatten Zeit uns etwas an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Auf dem mexikanischen Festland allerdings wartet wieder eine andere Welt auf uns.
 


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