Auf dem mexikanischen Festland

10. – 17. Dezember

Die Teneres und wir haben die Überfahrt trotz Überstunden gut überstanden und sind ohne Beschädigungen mit der Fähre in Mazatlán angekommen. Mazatlán liegt genau auf der Höhe des südlichen Zipfels der Baja, an der Pazifikküste des mexikanischen Festlands. Endlich von der Fähre runter, ist die erste Amtshandlung eine Tankstelle zu finden. Hier bekommen wir auf Nachfrage auch gleich ein Hotel genannt, was nicht allzu weit entfernt ist. Da es bereits spät ist, wollen wir nicht erst im Dunklen auf die Suche gehen und fahren zu dem empfohlenen Hotel. Allein die Fahrt von der Fähre zum Hotel vermittelt mir ein ganz anderes Bild als ich es von der Baja gewohnt war – mehr Verkehr und deutlich mehr Blaulicht. Das ist alles andere als vertrauenserweckend. Nachdem wir aber im Hotel eingecheckt haben, sind wir schon deutlich entspannter und nach einer Dusche erst recht. Dann geht es auf Nahrungssuche.

Am nächsten Morgen fahren wir rund 270km auf dem freien Highway 15 gen Süden nach Tepic. Parallel zu diesem Highway befindet sich noch ein zweiter kostenpflichtiger Highway, auf dem man sicherlich schneller vorankommen würde, aber wir haben es nicht eilig. Mit etwas weniger Tempo haben wir auch mehr Zeit die deutlich andere Landschaft hier auf dem Festland aufzunehmen. Die Kakteen der Baja sind größtenteils verschwunden und haben Bäumen wie im Dschungel Platz gemacht. In Tepic wollen wir uns mit einem anderen Biker und seiner Frau treffen – Pablo und Gabriela. Die beiden hatten wenige Wochen zuvor Rajiv, einen uns bekannten Fahrradfahrer aufgenommen, der uns dort ins Gespräch brachte. Nun wollten uns die beiden auch kennenlernen, was uns sehr entgegen kommt, da wir hier bisher nur wenige Anlaufpunkte haben. Trotz der langsameren Fahrt auf dem freien Highway kommen wir zeitiger an als gedacht und haben somit Zeit die Stadt ein wenig zu erkunden. Dabei sehen wir auch bei einem Fotoshooting im Parque Ecológico, einem kleinen Stadtpark, zu. (Später stellt sich heraus, dass es sich dabei wohl um einen 15. Geburtstag gehandelt hat, der hier in Mexiko manchmal wie eine Hochzeit gefeiert wird – allerdings nur bei Frauen.) Zur Feier des Tages, gönnen wir uns auch ein Eis, denn Ulli hat Geburtstag. Am Abend starten wir dann mit Gabriela und Pablo gemeinsam in die Stadt und probieren allerhand kulinarische Köstlichkeiten. Darunter zählen auch solch einfache Dinge wie Zuckerrohrstücken. Ich hätte nie gedacht, dass diese Pflanze von Natur aus so süß ist. Das ist für mich Süßigkeitenliebhaber genau das Richtige. Aber auch die bereits bekannten und beliebten Churros sowie Gorditas (kleine Teigtaschen) finden Platz in unseren Bäuchen. Während wir wenig später auf Pablo warten, zeigt uns Gabriela in einigen Läden handgemachte Kunstwerke der hier ursprünglich lebenden Einwohner. Skulpturen aus zahlreichen Perlen sowie kunstvoll verzierte Kleider zählen dazu. So wechselt auch ein kleiner Perlenschlüsselanhänger in Form eines Salamanders die Besitzer. Wir haben Glück und bekommen an diesem Abend sogar noch eine Sondervorstellung der hiesigen Bräuche, denn es ist der Abend vor dem Tag der Jungfrau von Guadalupe („Dia de la Virgin de Guadalupe“). An diesem Abend gibt es einen Umzug in den traditionellen Kostümen der unterschiedlichen Regionen. Uns erinnert das Ganze stark an Karneval.

Gabriela ist Kindergärtnerin beziehungsweise leitet zwei Einrichtungen und lädt uns zu einem kurzen Besuch dorthin ein. Wir sind beeindruckt, das hätten wir so nicht erwartet. Helle und große Räume, ein mit Fingerabdruckscanner gesicherter Eingangsbereich, moderne Büroausstattungen und genügend Platz für die Kids und ihre Spielsachen, sowohl in einem Innen- als auch Außenbereich. Da würde manch Kindergarten in Deutschland neidisch werden. Was uns aber deutlich mehr verwundert oder beeindruckt, ist ein Raum mit rund 20 Babys in Babyschalen. In Gabrielas Kindergarten werden also auch Kinder im Alter ab 45 Tagen in Obhut genommen. Klar stellt sich die Frage, wie lange die Auszeit einer Mutter mit ihrem Kind sein sollte. Sind 45 Tage genug? Ich habe darauf keine Antwort. Dennoch bin ich mir sicher, dass es gerade hier in Mexiko sicherlich eine größere Rolle spielt nach der Geburt wieder Geld zu verdienen, als in Deutschland, wo die soziale Absicherung deutlich ausgeprägter ist und Eltern mehrere Monate Elternzeit nehmen können, ohne gleich in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Nach diesen etwas anderen Eindrücken von Mexiko machen wir uns gemeinsam mit Pablo im Bus auf zum Tempel von „El Pichon“. Auf dem Weg dorthin sehen wir bereits viele Menschen entlang der Straße pilgern, die zu dem Tempel wollen, um die Jungfrau von Guadalupe zu sehen. Das Polizeiaufkommen ist schon beeindruckend. Wir sehen zahlreiche Pickups mit teilweise schwer bewaffneten Polizisten auf den Ladeflächen. Die meisten Polizisten in Deutschland sind mit Pistolen und manchmal mit Maschinenpistolen ausgerüstet. Hier tragen fast alle Polizisten Gewehre und die Pistole natürlich auch. Ein wenig nachdenklich macht das schon, aber dennoch fühlen wir uns nicht unsicher. Die Polizisten sind sehr freundlich uns lassen uns sogar ihren futuristischen Spezialeinsatzwagen inspizieren. Von außen macht dieser einen imposanten Eindruck, von innen jedoch glaube ich in einem Heimwerkerprojekt gelandet zu sein. Einige Lösungen, wie zum Beispiel die Klimaanlage oder das Cockpit könnten auch von einem eifrigen Tüftler in Eigeninitiative installiert worden sein. Interessant bleibt das Teil trotzdem. Einige Meter später sehen wir dann auch noch einen mobilen Wachturm, der aus der Menschenmenge ragt. Derartiges Equipment habe ich bei der Polizei in Deutschland noch nicht gesehen. Nachdem wir uns dann den Weg, der auch an einen überfüllten Markt erinnert, mit der wandernden Menschenmasse entlang gekämpft haben, schauen wir uns kurz die Kirche und das Treiben dort an. Zurück geht es dann wieder mit der Menschenmasse mit, entlang der vielen kleinen Verkaufsstände. Das Angebot reicht von vermutlich nicht ganz so legalen Kinofilmen, über Spitzenunterwäsche bis hin zu allen erdenklichen Spiel- und Haushaltswaren. Ganz zu schweigen von dem vielfältigen Essensangebot. Da die Warteschlange für den Bus zur Heimreise eine beachtliche Länge angenommen hat, entscheiden wir uns den Rückweg zu Fuß anzutreten (ca. 8km oder mehr). Das sommerliche Wetter lädt förmlich dazu ein. Zurück in Tepic treffen wir uns mit Gabriela zum Essen und planen am restlichen Abend gemeinsam unseren weiteren Weg durch Mexiko.

Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Etzatlán, wo wir uns mit Miguel treffen wollen. Er ist in der mexikanischen Motorradreiseszene wohl recht bekannt und mit seinen Bikes bereits viel herumgekommen. Bevor wir Etzatlán erreichen, passieren wir noch ein großes Feld mit dunklem Vulkangestein, was ein wenig gespenstisch aussieht. Obwohl wir nur etwas mehr als 150km vor uns haben, kommen wir trotz straffer Fahrweise und großen Zeitpuffer ein wenig später an als geplant, da uns die Zeitverschiebung zwischen den beiden Orten nicht bewusst war. Aber alles halb so wild Miguel ist auch noch nicht da. Aber da kommt er schon mit seinem (ich traue meinen Augen nicht so recht) Peugeot. Nicht dass es ein besonderes Auto wäre, aber hier sieht man die Fahrzeuge der französischen Hersteller eher selten. Deutsche Marken haben sich hier neben den amerikanischen Pickups und SUVs deutlich mehr durchgesetzt. Kurz unsere Sachen abstellen und schon geht es weiter, denn Miguel ist mit einigen Studienkollegen verabredet und nimmt uns kurzerhand mit. So kommen wir in den Genuss einem Absolvententreffen der Zahnmediziner im 90km entfernten Guadalajara beizuwohnen. Rund 1,5 Millionen Einwohner hat die Stadt, was wir hier so nicht erwartet hatten. Miguel zeigt uns bei der Gelegenheit auch gleich einen Teil des Weges, den wir dann für unsere Fahrt nach Leon nehmen müssen. Dann sind wir aber auch schon da und treffen auf die Zahnärzte. Zwischendurch klinken wir uns auch für eine Stunde aus und erkunden ein wenig die Nachbarschaft.

Am Sonntag machen wir abermals mit Miguel die Gegend unsicher. Zuerst fahren wir nach Ahualulco zu einem traditionellen Reiterfest. Im Wettkampf müssen die Cowboys vorbeirennende Pferde mit dem Lasso einfangen. Dabei müssen sie das Lasso so werfen, dass die beiden Hinterbeine der Pferde gefangen werden und die Pferde nicht mehr weiter rennen können. Das schaffen nur wenige und wenn es gelingt, fängt der Sattel, um den das Lasso gewickelt ist, an zu qualmen und eine nach verschmortem Holz riechende Rauchwolke legt sich für einige Sekunden um den Cowboy.

Nachdem dann einige der Leute mitbekommen haben, dass sich hier auch ein paar merkwürdige Gestallten (nämlich wir) rumtreiben, kam es hin und wieder zu Durchsagen über die Lautsprecheranlage in denen die „Deutschen“ erwähnt wurden. So kam man schnell mit einigen anderen Gästen ins Gespräch und wenig später durften wir dann auch noch einen Gruß über die Lautsprecher loswerden. Tequila gab es selbstverständlich auch. Dann geht es aber auch schon weiter zu der nahe gelegenen Hazienda „Labor de Rivera“. Am Vortag wurde hier scheinbar eine größere Veranstaltung von IBM ausgetragen, dies lassen zumindest die herumstehenden Werbebanner vermuten. Die ganze Anlage ist nun eine Art Luxushotel im Stile eines alten Landguts. Wer möchte, kann hier richtig viel Geld für eine Übernachtung ausgeben. Das Romanze-Paket zum Beispiel kostet für ein Paar umgerechnet rund 350 Euro pro Nacht. Auf dem Rückweg machen wir einen kurzen Stopp bei Miguels Zahnarztpraxis und verewigen uns an der „Wand der Reisenden“. Ich nutze die Gelegenheit, um mir auch mal auf den Zahn fühlen zu lassen, da ich vor einigen Tagen oder Wochen gelegentlich ein Stechen im Zahn hatte. „Leider“ kann er nichts weiter finden, was mich erst mal beruhigt. Falls die Schmerzen dann noch mal wiederkommen, habe ich ja noch einen Termin in Mexiko Stadt und kann dann gegebenenfalls etwas machen lassen. Vorsorglich haben wir diesen Termin schon vor einigen Tagen mit unserem Servas-Kontakt in Mexiko Stadt gemacht. Bereits in den USA sagte man uns, dass die Ausbildung der Ärzte in Mexiko gut sei, da viele von ihnen in den USA studiert haben. Bevor es zurück in Miguels Haus oder besser Villa geht, machen wir noch einen Taco-Stopp, wo ich auch mal einen Taco mit Zunge probiere. An einen „Taco de Cabeza“ (mit Teilen des Kopfes) traue ich mich nicht ran. Nach dem Essen machen wir uns gemeinsam an die Routenplanung. Miguel hat viele Tipps und Kontakte für uns parat.

Leon, eine mit 1,6 Mio Einwohnern relativ große Stadt, liegt gute 300km östlich von uns und ist unserer heutiges Ziel. Wir fahren zu Pepe, einem Freund von Miguel. Eigentlich wollten wir bei der Gelegenheit auch noch durch das Städtchen Tequila fahren, da aber die Wolken nicht sonderlich einladen aussehen und wir nicht wissen wie lange wir am Ende für die 300km brauchen werden, entscheiden wir uns dagegen. Der, wenn auch nur kurze Umweg, um mal kurz anzuhalten und ein Foto zu machen, ist uns dann doch zu viel. Die Fahrt dahin führt uns durch Guadalajara, wo wir bereits den groben Weg kennen. Unspektakulär ist die gesamte Strecke, sodass wir nicht in die Verlegenheit kommen anzuhalten und deshalb zeitig an unserem Ziel ankommen. Dort empfängt uns auch schon Alicia, Pepes Frau. Sie bereitet uns ein ausgesprochen leckeres Mittagessen zu – Hähnchenschnitzel, Knoblauchreis und selbstgemachte Salsa. Wenig später lernen wir dann auch Pepe und seine Tochter Cony kennen. Pepe oder auch „El tigre“ ist der Präsident des Motorradclubs „69 Ovejas Negras Leon“ (69 Schwarze Schafe Leon) und heißt und nochmals herzlich willkommen. Dazu gehört auch die Einkleidung mit einem neuen T-Shirt, eins von der Motofiesta Leon und eins von den 69 Ovejas Negras Leon, welche wir auch gleich anziehen. Nach dem Essen haben wir etwas Zeit und ich ändere die Position meines Lenkers ein wenig, um bei der Fahrt eine etwas entspanntere Haltung der Hände zu haben. Langsam wird es Abend und wir machen uns alle gemeinsam auf in die Stadt. Dort Treffen wir Natasha und Oscar. Natasha kommt ursprünglich aus Kasachstan und hat in Deutschland studiert. Dies ist für uns von besonderen Vorteil ist, da wir nun quasi einen Dolmetscher mit dabei haben. Durch sie erfahren wir allerlei informative Dinge und werden rechtzeitig gewarnt, wenn mal etwas Scharfes auf den Tisch kommt. Wir schlendern durch die Stadt und wie sollte es anders sein, genießen wir all die kulinarischen Köstlichkeiten, die uns auf der Straße begegnen (z. B.: Atole – eine Art Drink auf Basis von Mais, Esquite – Mais mit Mayonnaise, Käse und Gewürzen, Chicharon – getrocknete, frittierte Schweinehaut). Die knusprige Schweinehaut wird in einem Brötchen und mit ordentlich scharfer Salsa serviert. Die Schärfe ist zwar erträglich, aber meine Gesichtsfarbe hat sich dann doch der Salsa angepasst und wurde mehr und mehr rot (zur Freude der Anderen).

Mit leckeren Huevos Rancheros (Spiegeleier auf frittierten Tacos) starten wir in den Tag. Direkt nach dem Frühstück fahren wir gemeinsam mit Pepe und Cony nach Guanajuato. Bei einem kurzen Zwischenstopp lernen wir einen der Organisatoren der Motofiesta Leon kennen. Die Motofiesta in Leon zählt zu den größten Motoradtreffen in Lateinamerika und wir haben uns fest vorgenommen diese in den nächsten Jahren einmal zu besuchen. In Guanajuato treffen wir uns mit Fernando, der uns in der Stadt herumführt und interessante Geschichten über der Stadt erzählt. Die farbenfrohe Stadt war Ende des 18. Jahrhunderts der weltgrößte Silbererzeuger (1/6 der Weltproduktion). Viel wichtiger ist aber die Bedeutung von Guanajuato für den mexikanischen Unabhängigkeitskrieg. Im Jahre 1810 stürmte Miguel Hidalgo y Costilla die Stadt mit seinen Truppen, womit die reichste Stadt Mexikos in der Hand der Aufständischen war. Guanajuato ist heute noch ein Symbol der mexikanischen Unabhängigkeit und begeistert uns besonders durch die vielfältige Architektur sowie den außergewöhnlichen Farbreichtum. Hier würden wir gern mehr als einen Tag verbringen, aber leider ist das dieses Mal nicht möglich. Nach einem ausgedehnten Essen mit einem kleinen Interview zu unserer Reise machen wir uns dann auch schon wieder auf den Rückweg, da wir vor Einbruch der Dunkelheit zurück müssen. Das Licht von Pepes Motorrad ist recht schwach, doch während der Fahrt bemerken wir, dass auch noch die Leuchte von Ullis Tenere durchgebrannt ist. Wir schaffen es natürlich nicht im Tageslicht nach Hause und so legen wir den Rest der Strecke mit Warnblinkern zurück. Zu Hause angekommen, lernen wir auch den Rest der Familie und einen Freund aus Monterrey kennen, der ebenfalls mit seinem Motorrad durch Mexiko reist.

„Was ist das“, frage ich am nächsten Morgen als ich das Bike beladen will. Eine Flüssigkeit ist entlang der Gabel bis auf das Rad getropft. Klasse, und dass jetzt, wo wir zeitig starten wollen, um die 400km nach Mexiko Stadt entspannt fahren zu können. Die Ursache ist zum Glück schnell gefunden. Es ist Bremsflüssigkeit, die an der Schraube des Bremsflüssigkeitsreservoirs austritt. Durch die geänderte Position des Lenkers drückt nun der Handprotektor auf die besagte Schraube, sodass die Flüssigkeit austreten kann. Glücklicherweise ist dieses Problem schnell gelöst, sodass wir ohne viel Verzögerung starten können. Pepe hat währenddessen auch schon einen befreundeten Mechaniker herbeigerufen, der aber am Ende auch nur noch feststellen kann, dass das Problem behoben wurde. Nach eine kurzen Testfahrt geht es dann los in Richtung Hauptstadt.

Die Fahrt dahin ist abenteuerlich. LKWs mit platten Reifen sind die harmlosesten Vorkommnisse. Schafherden auf autobahnähnlichen Straßen, Buschfeuer am Straßenrand, Bauarbeiter ohne jegliche Absicherung der Baustelle und parkende Fahrzeuge auf der linken Spur sind keine Seltenheit. Hier müssen wir verdammt gut aufpassen.


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