Südmexiko – Öl, Ruinen, Cenoten und Brot

01.-13.03. 2015
 
In Puebla haben wir über die Dauer von 6 Wochen das Alltagsleben in einer mexikanischen Großstadt kennengelernt und verschiedenste kulturelle Ereignisse miterlebt. Auch wenn wir uns bei Rosy und Tony sehr wohl gefühlt haben, kam nach einiger Zeit der Wunsch auf, weiter zu reisen, wenngleich wir uns kaum mehr vorstellen können, wie es ist, wieder jeden Tag unterwegs zu sein. Der Abschied viel dann doch schwer, vor allem da wir nicht wissen, ob es ein Wiedersehen geben wird. Als sich dann die Familie links und rechts vor der Ausfahrt aufreiht und jeder mit einem weißen Tuch winkt, als wir hinausfahren, wird es nicht leichter. Im Rückspiegel sehen wir sie zum letzten Mal.
 
Der Süden Mexikos bietet uns genau die Abwechslung, die wir uns nach so langem Aufenthalt in ein und derselben Stadt gewünscht haben. In einem Tagesritt düsen wir nach Coatzacoalcaos, einer Stadt an der Ostküste im Bundesstaat Veracruz, in der uns Tonys Schwester einen Kontakt vermittelt hat. Nachdem wir am Pico de Orizaba vorbeigerauscht sind und von 2000 Meter Höhe ins Tal hinab fahren, wechselt das trockene und staubige Wüstenklima schnell in schwülwarme Subtropen.
 
Wir befinden uns nun am Golf von Mexiko, an dem das schwarze Gold gewonnen wird: PEMEX ist der staatliche Mineralölkonzern Mexikos und besitzt ein Monopol für den Verkauf von Diesel und Benzin im ganzen Lande. Auch wir haben ausschließlich bei PEMEX unsere Tanks gefüllt, weil es keinen einzigen Mitbewerber in Mexiko für den Verkauf von Treibstoff gibt. Wenn Wikipedia Recht hat, dann wird die Staatskasse Mexikos zu einem Drittel durch die Gewinne des Ölkonzerns gefüllt. Der Konzern hat in Coatzacoalcos zahlreiche Bohrinseln, Raffinerien, Industrieanlagen und einen großen Hafen für den Öltransport. Zu uns sagte mal ein Mexikaner: „Mexiko hat viele schöne aber auch viele hässliche Orte“. Die Raffinerien an denen wir vorbeifahren gehören zumindest nicht zu den schönen Orten.
 
Der Vater der Familie, die uns sehr herzlich aufgenommen hat, arbeitet seit Jahren bei PEMEX und trägt auch noch beim Abendessen ein Hemd mit dem Emblem seines Brötchengebers. Alfred, der Neffe, studiert Chemie und macht in einer der Anlagen in der Umgebung ein Praktikum. Gemeinsam fahren wir zum Ufer am Stadtrand, wo vor 20 Jahren richtiger Strand mit Sand und Palmen war. Heute steht hier eine lange Mauer und von weitem sehen wir die Lichter der Erdölanlagen. Im Vergleich zu anderen Jobs in Mexiko verdienen die Menschen hier relativ gut. Die Familie beklagt allerdings das Fehlen von kulturellen Einrichtungen wie Kinos oder Theater beziehungsweise anderen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten. Die Stadt sei aufgrund des Ölbooms schnell gewachsen, doch seien kaum Möglichkeiten hinzugekommen, das Geld für Freizeitaktivitäten auszugeben. Unsere Gastgeber waren so freundlich zu uns, dass wir einerseits gerne noch einen weiteren Tag geblieben wären, doch aufgrund der langen Pause wollten wir andererseits weiter.
 
In Chiapas de Corzo besuchen wir den Biker Eduardo. In einer großen Halle hat er drei Motorräder zu stehen, darunter auch eine ältere BMW GS 1200. Zugleich sind auch die beiden Mexikaner „Ghost“ und seine Freundin Mayra Gast, die mit ihrer Harley bei einem Biker Treffen in Belize City waren und nun auf der Rückreise nach Mexiko Stadt sind. Ghost versorgt uns mit Kontakten in Campeche und Yucatan, bei denen wir später tatsächlich vorbeifahren. Mit den beiden machen wir am nächsten Tag eine Tour mit einem der Boote von Eduardos Touristikunternehmen. So bekommen wir ein wenig Rabatt auf den Ausflug. Auf dem Rio Grijalva fahren wir zwischen den steilen, bis zu 1000m hohen Felswänden des Canyon del Sumidero entlang. Dabei bekommen wir am Flussufer sogar einige Krokodile zu Gesicht und in den Bäumen tummeln sich Affen.
 
Stephan hat abends leichtes Fieber und Husten. Da macht sich leichte innere Panik breit: nicht schon wieder, wir haben genug von Krankheiten… . Vorsichtshalber gehen wir gleich zu einer Arztpraxis. Doch wie vermutet will uns die Ärztin direkt ein Antibiotikum verschreiben. Wir kaufen es gar nicht erst, es gab schon genug Antibiotikum für uns in der letzten Zeit. Die Symptome sind zum Glück später von allein wieder verschwunden.
 
Die nächste Tagesetappe führt uns über kurvige Bergstraßen vorbei an Palmen und Nadelbäumen, die oftmals direkt nebeneinander stehen. Eine solche Kombination von Vegetation war mir bisher unbekannt. Direkt vor dem Nationalpark von Palenque finden wir dank einem Tipp von Joey und Daniel, den beiden anderen Motorradreisenden die wir in San Diego getroffen hatten, eine günstige Unterkunft in einem Bungalow-Dorf im Dschungel. Allerdings macht uns der bauliche Zustand dieser Doppelstockhäuschen nachdenklich, als wir in unserem Zimmer die Schwingungen spüren, sobald jemand die Wendeltreppe hinaufkommt. Wir nehmen uns einen Tag Zeit um die Maya Ruinen von Palenque zu besichtigen. Diese im Dschungel liegende alte Stadt lädt sowohl zu Entdeckungstouren in den weiter abseits im Wald gelegenen Anlagen als auch zum Herumklettern auf den größeren Ruinen von Palast und Tempeln ein. Im Gegensatz zu anderen Ruinenstädten ist das hier noch erlaubt. Vom Kreuztempel aus haben wir einen Blick über die ganze Ruinenstadt und weit bis zum Horizont des Dschungeltieflandes.
 
Unsere Route führt uns weiter nach Campeche, wo wir den Biker Ambrosio besuchen. Er wohnt in einer hübschen Gartenanlage, die er gelegentlich für Events wie Hochzeitsfeiern vermietet. Wir dürfen unter dem Carport unser Zelt aufschlagen und auch den großen Pool jederzeit benutzen. Zum Mittagessen werden wir von Ambrosio und seinen Freunden zu Fischtacos eingeladen. Der Fisch kommt direkt vom Grill und die frische Salsa trägt das Übrige zu diesem leckeren Geschmackserlebnis bei. Ambrosio ist Mitglied im Bikerclub „Piratas Campeche“ und ist mit einer Harley Davidson und entsprechenden Aufnähern für seine Bikerklamotten ausgerüstet. Auf einer abendlichen Rundfahrt zeigt er uns die Stadt Campeche, mit ihrer alten Stadtmauer und den zwei Forts, welche der Verteidigung gegen Piraten dienten. Am Sonntag geht’s auf zur gemeinsamen Ausfahrt mit dem Bikerclub. Mit sieben Motorrädern fahren wir nach Hopelchén, wo uns einer der Biker zum Grillen bei seiner Familie einlädt. Auf dem Weg machen wir noch einen kurzen Abstecher nach Edzna, einer der zahlreichen archäologischen Stätten der Halbinsel Yucatan.
 
Zu Gunsten der Grutas von Loltun, einem Höhlensystem, verzichten wir auf einen Besuch der bekannten Ruinen von Uxmal. Die Yucatan Halbinsel ist von einem Netz aus Höhlen und unterirdischen Süßwasserläufen durchzogen. Daraus ergeben sich viele kleine und große Highlights, die man bei einem Besuch der Region nicht verpassen sollte: Cenoten. Cenoten sind Wasserlöcher, die durch den Einsturz der Kalksteinhöhlen entstanden sind. Sie können oben komplett offen sein oder nur ein kleine Öffnung in der Decke haben, durch das die Sonnenstrahlen scheinen. Die üppige Vegetation ringsherum und das meist sehr klare Wasser lassen diese Orte wie kleine Paradiese erscheinen. Voll touristisch erschlossenen und mit Mauern umbaut, bis hin zu im Dschungel versteckten oder sogar noch unentdeckten Cenoten findet sich auf der Halbinsel alles. Für die Maya sind die Cenoten heilig, sie sind der Eingang zur Unterwelt der Toten, aber auch wichtige Süßwasserquelle. Mit circa 6000 Cenoten befindet sich auf der Halbinsel das vermutlich größte Unterwasserhöhlensystem der Erde. Die Höhlen der Grutas von Loltun sind ein System aus ehemaligen Cenoten und Unterwasserhöhlen, die aufgrund einer natürlichen Senkung des Wasserspiegels aber heute trocken und damit begehbar sind. In jeder der Haupthöhlen begegnen uns andere Kalksteinformationen wie Stalagniten und Stalaktiten und wir fühlen uns mal wieder wie in einer anderen Welt.
 
Bis zu unserem Ziel nach Tahmek ist es nicht mehr weit und so machen wir nach dem Besuch der Höhlen noch halt bei einer unbekannteren alten Mayastadt: Mayapan. Sie ist nicht ganz so groß wie die Berühmtheiten von Chichen Itza oder Uxmal, dafür ist hier kaum ein Mensch und wir haben die ganze Anlage für uns allein. Wir müssen sie lediglich mit den vielen Leguanen teilen, die hier ein scheinbar entspanntes Leben führen. Von der Spitze der sehr Steilen Pyramide in der Platzmitte können wir kilometerweit in alle Himmelrichtungen das flache Yucatan überblicken.
 
In Tahmek, einer kleinen Stadt irgendwo zwischen Merida und Valladolid, sind wir mit dem Bäcker Vera verabredet. Wir wissen nur den Namen der Straße in der er wohnen soll, Straßennamen und Hausnummern sind hier Fehlanzeige. Ein Betrunkener auf dem Marktplatz weist uns wohl eher zufällig in die richtige Richtung und so sehen wir Vera, wie er uns vor seinem Haus sitzend zuwinkt. Direkt vor dem Backraum dürfen wir unser Zelt aufschlagen. Vera bäckt Brot, Pizza und süße Teilchen und liefert diese an alle mögliche Läden und auch Schulen in der Umgebung, einen eigenen Verkaufsraum hat er nicht. In der Bäckerei zeigt uns Vera die alten Knetmaschinen, Teigwalzen und den Ofen. Das Brot wird auf einem langen Holztisch geformt. Es wäre interessant wie das deutsche Gesundheitsamt auf diese Backstube reagiert hätte. Was hier in Mexiko völlig normal ist, wäre in Deutschland ein Skandal. Die ganze Familie ist in den Backbetrieb einbezogen. Die Söhne und der Partner der schwangeren 16-jährigen Tochter helfen beim Backen und beim Ausliefern mit dem Motorrad oder Auto. Vera erzählt uns das er so circa 80 Pesos am Tag verdient, was ungefähr 5€ entspricht.
 
Einige Male im Jahr verdient er sich jedoch an der Küste etwas dazu: mit Seegurken kochen. Im Norden von Yucatan ist das Meer reich an Seegurken, welche im asiatischen Raum stark als Potenz- und Heilmittel nachgefragt sind. In China werden zum Teil mehrere Hundert Euro für bestimmte Seegurkenarten bezahlt. Wir hatten uns damals schon in Chinatown in San Francisco über die Preise einiger Seegurken gewundert: $500 pro Pfund waren keine Seltenheit. Das Kochen der Seegurken wird jedenfalls gut bezahlt, da es anstrengende Arbeit verbunden mit Hitze und Gestank ist. Vera erzählt uns auch von den „Seegurken-Baronen“, einige wenige Männer, die die Lizenz zum Seegurkenhandel haben und angeblich Millionen von Dollar damit verdienen. Man könnte auch von einer Art Seegurken-Mafia sprechen, die niemanden von außen ins Geschäft lässt.
 
Die mexikanischen Bundestaaten auf der Yucatanhalbinsel heißen Quintana Roo, Campeche und Yucatan. Diese Regionen sind vom mexikanischen Drogenkrieg, der sich zwischen den Kartellen, Polizei und Militär abspielt nicht betroffen. Laut der Aussage von Vera, liegt es daran, dass dort die Drogenbosse ihre Häuser haben, in denen ihre Frauen und Kinder leben.
 
Vera fährt jedenfalls auch Motorrad und daher machen wir eine gemeinsame Tour in die Umgebung und besuchen einige Cenoten. Manche der Eingänge sind nur ein unscheinbares Loch in der Erde. Umso überraschter sind wir, als wir diese bildschönen Unterwelten zu Gesicht bekommen. Gleichzeitig sind wir froh, die Motorradkluft gegen Badesachen einzutauschen und ins kühle Nass zu springen, denn die Hitze draußen ist unerträglich. Allerdings ist es schon fast ein wenig gruselig unterirdisch in dem eigentlich klaren Wasser zu schwimmen. Da zum Teil kein Sonnenlicht auf das Wasser trifft, sieht man nur schwarz wenn man unter sich blickt und man muss aufpassen dass man sich nicht an Felsen und Steinen stößt, oder war es doch ein noch unentdecktes Höhlenmonster?
 
Auf dem Weg zur dritten Cenote werden wir durch den starken Regen fast völlig durchnässt. Kurz nach uns kommen an der Cenote zwei Argentinier mit einem Guide an, denen wir uns kurzerhand anschließen und so in den Genuss einer kostenfreien Führung kommen. Man hätte uns ja vorher sagen können, dass wir für die Begehung lieber direkt Badesachen anziehen sollten. Nachdem wir den glitschigen Abstieg hinunter sind, waten wir bald bis auf Brusthöhe durch das Wasser. Dann, als die Höhle zu Ende sein scheint, macht uns der Guide auf einen kleinen handbreiten Spalt aufmerksam. Das wäre die Stelle, wo wir nun tauchen müssten. Ach so, na gut, dann legen wir eben die Kamera weiter vorne ab, durchnässt waren wir ja eh schon. Mit etwas Überwindung und im Licht der drei Taschenlampen tauchen wir hindurch und finden uns dann in einer Art Tropfsteinhöhle wieder, an deren Decke duzende Fledermäuse hängen. Solche spontanen Erlebnisse sind nicht immer komfortabel, machen aber irgendwie glücklich. Bis auf die Unterwäsche nass, fahren wir erstmal zurück zur Bäckerei, um uns wieder aufzuwärmen.
 


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