Straße des Friedens

14.-21.05.2015
 
Wir verabschieden uns von Gabriel und seiner Familie und fahren los, ohne unser Tagesziel zu kennen. Wir dachten die Region um San Vicente könnte interessant sein, aber nach einem kurzen Abstecher in die kleine Stadt wissen wir nicht, warum wir bleiben sollten und entscheiden uns weiter zu fahren. Vor einigen Tagen hatte ich in einem deutschen Online Zeitungsartikel von Perquin und der Ruta de La Paz (Straße des Friedens) gelesen. In dem Gebiet im Nordosten des Landes kämpfte während des Bürgerkrieges in El Salvador (1980-91) verstärkt die Guerilla der Rebellenarmee FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí). Wir machen also das „Museo de la Revolucion“, welches von ehemaligen Guerillas errichtet wurde und betreut wird, zu unserem Tagesziel. Wir kommen noch rechtzeitig an und können das Museum für $1.50 Eintrittsgebühr besichtigen. Zu sehen sind unter anderem Reste eines abgeschossenen Hubschraubers, Bomber, Mörser sowie eine Sammlung von Utensilien und Waffen der Guerillas. Das Museum erklärt leider keine historischen Fakten oder Zusammenhänge. So bleibt es dem Betrachter überlassen, sich aus den vielen Fotos, Plakaten und Zeitungsartikeln ein Bild zu machen. Einige der Plakate und Artikel sind sogar aus Deutschland: („Solidarität mit dem Volke von El Salvador“ usw.).
 
Ein Artikel der ASTA TU Berlin ist besonders ernüchternd: er erklärt, dass in den achtziger Jahren zwei Drittel der Devisenerlöse El Salvadors durch Kaffeeexport erwirtschaftet wurden. Von diesem Geld wurde der Krieg gegen die eigene Bevölkerung finanziert. Einige Länder, wie die Niederlande, hätten aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen den Kauf von Kaffee aus El Salvador fast vollständig eingestellt. Nicht so die BRD, welche die Importe zu dieser Zeit sogar erhöht hat. Alle großen deutschen Kaffeeunternehmen, wie Eduscho, Jakobs, Melitta, Tschibo und die Aldi Hausmarke nutzten El Salvadorianischen Kaffee in ihrer Mischung. Der deutsche Kaffee-Konsument hat somit indirekt den Krieg mitfinanziert.
Hintergrund des Bürgerkrieges war die ungleiche Verteilung von Landbesitz: 3% der Bevölkerung besaßen 54% des Landes. 430 000 Familien haben gar keinen Zugang zu Land gehabt. Die wenigen Großgrundbesitzer ließen auf allen verfügbaren fruchtbaren Böden Kaffeeplantagen errichten, weil sich dies besonders im Auslandsgeschäft rentierte. Die vielen Kaffeeplantagen ließen in einem Land, welches ungefähr so groß ist wie Hessen, nur noch wenig Raum für den Anbau von Lebensmitteln. Die Bauern wurden ihrer Lebensgrundlage entzogen und die Nahrungsmittel wurden knapp. Die Forderungen der Bauern nach einer gerechteren Umverteilung des Landes wurden mit unerbittlichen Repressionen beantwortet. Militär, Polizei und Todesschwadronen haben innerhalb von 10 Jahren 70.000 Menschen umgebracht. Die USA finanzierte zum großen Teil das El Salvadorianische Militär und unterstütze es mit Gerätschaft und Militärberatern. Der Staat El Salvador machte somit Schulden bei den USA, die er unmöglich abbezahlen kann und somit befindet sich El Salvador nun nach dem Bürgerkrieg in Abhängigkeit. Gabriel erzählte uns, das El Salvador mit Männern bezahlt, die in die US-Armee eingezogen werden und nun auf anderen Teilen der Welt für die USA kämpfen. Ob das stimmt konnten wir nicht herausfinden, was auch daran liegen mag, dass solche Dinge nicht unbedingt veröffentlicht werden. In folgendem Artikel wird von freiwilligen Söldnern unter anderem aus El Salvador berichtet, die für einen Billiglohn für die USA im Irak und Afghanistan in den Krieg ziehen.
 
http://www.stern.de/politik/ausland/panamericana-billiges-kanonenfutter-fuer-den-irak-3755990.html
 
Dem Museum ist ein altes Guerilla Camp angeschlossen. Im Wald können wir so den typischen Aufbau eines Camps begutachten: mehrere Tunnel, eine Untergrund-Radio-Station, Hängebrücken, eine Kochstelle und vereinzelte Zelte. Die Hospitalstation ist ein Zelt aus Ästen, abgedeckt mit schwarzer Plastikfolie. Die Innenausstattung besteht aus einer Pritsche und einem Infusionsbeutel. Die Infusionen beinhalteten damals Kokoswasser, Salz und Zucker. An zwei Ständen sind Waffen und Munition ausgestellt: alte Bomben, verschiedene Schusswaffen, Patronenmagazine, Granaten usw.. Ein Bombeneinschlagskrater zeugt von der Originalität des Schauplatzes. Eduardo, ein ehemaliger Guerilla Kämpfer führt uns durch die Außenanlage. Im Alter von 8-16 Jahren hat er selbst in dieser Gegend gekämpft. Die Hälfte der Guerilla Krieger waren Kinder und Jugendliche bis 20 Jahren.
 
Nach Absprache dürfen wir unser Zelt für eine Nacht für 2 USD auf dem Gelände hinter dem Museumsgebäude aufschlagen. So bleibt uns noch Zeit zum Mirador aufzusteigen, von dem aus wir einen Blick in die Berge von Honduras werfen können. Zum Abendbrot gibt es im Dorf Pupusas und ein kühles Pilsener auf dem sehr gepflegten Marktplatz, bevor wir uns ins Zelt verkriechen.
 
Am folgenden Tag besuchen wir einen weiteren Schauplatz des grausigen Bürgerkrieges: El Mozote. Vom 11.-13. Dezember 1981 fand in diesem Dorf ein Massaker unvorstellbaren Ausmaßes statt: alle der fast 1000 Dorfbewohner wurden ermordet. Die Gräueltat wurde von einem von der Regierung gesandtem und von US-Soldaten trainiertem Bataillon begangen, weil man fürchtete, dass die Kinder zu späteren Guerilla Kriegern heranwachsen könnten. Die Dorfbewohner sollten sich auf dem Hauptplatz versammeln und anschließend wurden Männer, Frauen und Kinder voneinander getrennt. Als erstes wurden die Männer ermordet, dann die Frauen und Mädchen vergewaltigt und ermordet und zum Schluss wurden die in der Dorfkirche eingesperrten Kinder und Babys getötet. Die Morde wurden mit Schusswaffen und Macheten begangen. Im Anschluss wurden die Gebäude in Brand gesetzt.
 
Heute erinnern Gedenktafeln an jede einzelne Familie mit Namen aller Ermordeten. Die damals circa 40 Jahre alte Rufina Amaya war einzige Überlebende und Zeugin, weil sie sich hinter Bäumen verstecken konnte. Die Frau, welche mit einem Mal ihre Familie und Gemeinschaft in der sie gelebt hat verloren hat und die Tötung ihres Mannes und ihrer vier Kinder von ihrem Versteck aus mit ansehen musste, hat sich noch jahrelang danach für die Angehörigen der Opfer eingesetzt. Eine Straße führt weiter hinter das Dorf wo nach wenigen Kilometern ein Denkmal des Friedens gesetzt wurde. In einem Kreis stehen Statuen von Botschaftern von Frieden und Menschlichkeit: dargestellt sind Mahatma Gandhi, Mutter Theresa, Martin Luther und der Papst. Die grüne Blümchenwiese, die zwitschernden Vögel und der strahlend blaue Himmel lassen den Ort, in dessen unmittelbarer Nähe damals Menschen abgeschlachtet wurden, heute idyllisch erscheinen. Mit schweren Gedanken verlassen wir El Mozote.
 
Wir wissen heute wieder nicht so richtig wo wir eigentlich hinwollen. In mehreren Städtchen halten wir an und überlegen ob wir bleiben oder weiter fahren sollen. So unentschlossen waren wir lange nicht. Schließlich entscheiden wir uns noch zur Laguna de Alegria weiterzufahren. Die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich dort als etwas schwierig. Das eine Hotel verlangt 16$ pro Person, was deutlich oberhalb unseres Budgets liegt, die andere Hospedaje hat zu und es laufen schon vier Backpacker umher die auch verzweifelt nach einer Unterkunft in dem kleinen Nest suchen. Beim umherfahren im Dorf schaue ich in einen Hinterhof und traue meinen Augen nicht: dort stehen die Bikes von Joey und Daniel. Erfreut über das spontane Wiedersehen tauschen wir uns zunächst etwas gegenseitig aus und die beiden geben uns noch den Hinweis auf eine Mission in der Nebenstraße, wo man auch einen Schlafplatz finden kann. Nachdem uns der Bruder ein Zimmer gezeigt hat und wir uns dort eingerichtet haben, statten wir den beiden auf dem Weg zum Abendbrot auf dem Dorfplatz noch einen Besuch ab. Innerhalb von einer Viertelstunde schaffen es die beiden uns dazu zu überreden, doch nach Kuba zu fliegen. Die beiden waren schon in so vielen Ländern auf allen Kontinenten unterwegs, dass wir ihnen einfach glauben müssen, dass Kuba einzigartig ist. Laut Daniel gibt es nichts Vergleichbares, es sähe dort aus wie im Film und sei mit einer Zeitreise vergleichbar. So setzen wir uns abends ins Kloster und buchen.
 
Die Laguna de Alegria im alten Vulkankrater stellt sich als mikrige Pfütze heraus die immerhin schön grün leuchtet und nach Schwefel riecht. Zum Abendbrot kochen wir gemeinsam mit Joey und Daniel das Gericht, welches sich in bisher allen bereisten Ländern einigermaßen authentisch herrichten ließ: Eier in Senfsoße.
 
Unsere letzte Station in El Salvador ist der Playa de Esteron. Am Strand finden wir einen Campingplatz, wo wir unter einem Strohdach 50 Meter vor dem Meer unser Zelt aufschlagen können. Auf ausgedehnten Strandspaziergängen finden wir Stranddollar (Überreste von Seeigeln mit symmetrisch angeordneter Zeichnung und Schlitzen), verschiedene Krabbenarten, und sogar zwei kleine Schildkröten. Als wir nach dem Abendbrot im Dunkeln zum Zelt zurückkehren, wartet dort eine dicke Überraschung auf uns: eine Monster-Erdkröte sitzt auf dem Zelteingang. Nachdem wir unser Heim zurückerobert haben, legen wir uns schlafen bis wir von Rascheln und Kratzen unterm Zelt geweckt werden. Am nächsten Morgen entdecken wir die Geräuschquelle: eine Krabbe stört sich an unserem Zeltboden, welcher ihren Höhleneingang überdeckt und versucht natürlich sich ihren Eingang wieder frei zu machen. Wenn wir das Zelt verschieben, stehen wir auf dem nächsten Krabbenloch, also hören wir uns die folgenden Nächte weiterhin den Krach der fleißigen Bauarbeiterin an. Es hört sich fast so an als würde sie mit ihren Scheren den Zeltboden bearbeiten.
 
Vom Campingplatz leihen wir uns zwei Kajaks um den Mangrovenwald El Esteron zu erkunden. Dazu müssen wir die Flussmündung überqueren. Da gerade Ebbe ist, ist das kein Problem. Auf dem Fluss treiben immer wieder alte Plastikflaschen, die wir einsammeln und hinten ins Kajak legen, damit wir sie später entsorgen können. Weiter tiefer in den Mangroven stoßen wir auf unzählige weiße Kraniche, die sich in den Bäumen tummeln. Wir würden gerne noch weiter den Fluss hinauf paddeln und uns noch ein wenig die skurrile Wurzellandschaft der Mangroven erkunden, doch müssen wir auch den ganzen Weg zurück paddeln. Auf dem Weg hinein in die Mangroven haben wir die Strömung, die uns unterstützt kaum wahrgenommen, anfangs hatten wir sogar leichte Gegenströmung. Kurz nach unserer Umkehr wurde uns klar, dass der Weg zurück kein Zuckerschlecken wird. Wir müssen mit all unserer Kraft gegen die nun verstärkt mit der Flut hereinkommende Strömung ankämpfen. Um Energie zu sparen, kreuzen wir immer auf die Flussinnenkurve und paddeln möglichst weit am Rand. Ab und an halten wir uns für eine Pause an einem Ast fest, um nicht gleich zurück zu treiben. Als wir endlich um die letzte Flussbiegung kommen, hören und sehen wir das Meer tosen, an der Stelle wo vorher die kleine Flussmündung war. Die Flut drückt nun ernstzunehmende Wellen hinein, die wir durchqueren müssen um zurück zum Strand zu gelangen. Die Wellen branden auf der anderen Seite an eine Felswand, was nicht sonderlich einladend aussieht. Die Alternative wäre, einige Stunden im Kajak auf Ebbe zu warten, da wir hier nirgends festen Boden betreten können. Wir müssen also durch dieses Wasser. Die Strömung ist stark und die Wellen sind zu groß für die kleinen Kajaks. Wir versuchen immer frontal durch die Welle zu stechen und uns bloß nicht seitlich überrollen zu lassen. Doch die Strömung drückt uns immer weiter in Richtung der kleinen Felswand, sodass sich fast Panik breit macht. Jeder ist auf sich gestellt und keiner kann dem anderen sinnvoll helfen. Immer einen Blick nach hinten wo Stephan nun bleibt, bin ich schon fast am rettenden Ufer angelangt, als mich doch noch eine Welle seitlich erfasst und mein Kajak unsanft umdreht. Boot und Paddel konnte ich in dem Gewühl gerade noch greifen, doch die Sonnenbrille ist weggespült. Die kleine Taschenkamera hatte ich zwar im Plastikbeutel verpackt, dennoch ist sie etwas feucht geworden. Später stellt sich heraus dass der Blitz nicht mehr funktioniert. Leider sind auch alle eingesammelten Plastikflaschen weggespült wurden. Das war mal wieder ein kleines Abenteuer, indem wir mit der Gewalt der Natur Bekanntschaft gemacht haben.
 


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