Auf dem mexikanischen Festland

10. – 17. Dezember

Die Teneres und wir haben die Überfahrt trotz Überstunden gut überstanden und sind ohne Beschädigungen mit der Fähre in Mazatlán angekommen. Mazatlán liegt genau auf der Höhe des südlichen Zipfels der Baja, an der Pazifikküste des mexikanischen Festlands. Endlich von der Fähre runter, ist die erste Amtshandlung eine Tankstelle zu finden. Hier bekommen wir auf Nachfrage auch gleich ein Hotel genannt, was nicht allzu weit entfernt ist. Da es bereits spät ist, wollen wir nicht erst im Dunklen auf die Suche gehen und fahren zu dem empfohlenen Hotel. Allein die Fahrt von der Fähre zum Hotel vermittelt mir ein ganz anderes Bild als ich es von der Baja gewohnt war – mehr Verkehr und deutlich mehr Blaulicht. Das ist alles andere als vertrauenserweckend. Nachdem wir aber im Hotel eingecheckt haben, sind wir schon deutlich entspannter und nach einer Dusche erst recht. Dann geht es auf Nahrungssuche.

Am nächsten Morgen fahren wir rund 270km auf dem freien Highway 15 gen Süden nach Tepic. Parallel zu diesem Highway befindet sich noch ein zweiter kostenpflichtiger Highway, auf dem man sicherlich schneller vorankommen würde, aber wir haben es nicht eilig. Mit etwas weniger Tempo haben wir auch mehr Zeit die deutlich andere Landschaft hier auf dem Festland aufzunehmen. Die Kakteen der Baja sind größtenteils verschwunden und haben Bäumen wie im Dschungel Platz gemacht. In Tepic wollen wir uns mit einem anderen Biker und seiner Frau treffen – Pablo und Gabriela. Die beiden hatten wenige Wochen zuvor Rajiv, einen uns bekannten Fahrradfahrer aufgenommen, der uns dort ins Gespräch brachte. Nun wollten uns die beiden auch kennenlernen, was uns sehr entgegen kommt, da wir hier bisher nur wenige Anlaufpunkte haben. Trotz der langsameren Fahrt auf dem freien Highway kommen wir zeitiger an als gedacht und haben somit Zeit die Stadt ein wenig zu erkunden. Dabei sehen wir auch bei einem Fotoshooting im Parque Ecológico, einem kleinen Stadtpark, zu. (Später stellt sich heraus, dass es sich dabei wohl um einen 15. Geburtstag gehandelt hat, der hier in Mexiko manchmal wie eine Hochzeit gefeiert wird – allerdings nur bei Frauen.) Zur Feier des Tages, gönnen wir uns auch ein Eis, denn Ulli hat Geburtstag. Am Abend starten wir dann mit Gabriela und Pablo gemeinsam in die Stadt und probieren allerhand kulinarische Köstlichkeiten. Darunter zählen auch solch einfache Dinge wie Zuckerrohrstücken. Ich hätte nie gedacht, dass diese Pflanze von Natur aus so süß ist. Das ist für mich Süßigkeitenliebhaber genau das Richtige. Aber auch die bereits bekannten und beliebten Churros sowie Gorditas (kleine Teigtaschen) finden Platz in unseren Bäuchen. Während wir wenig später auf Pablo warten, zeigt uns Gabriela in einigen Läden handgemachte Kunstwerke der hier ursprünglich lebenden Einwohner. Skulpturen aus zahlreichen Perlen sowie kunstvoll verzierte Kleider zählen dazu. So wechselt auch ein kleiner Perlenschlüsselanhänger in Form eines Salamanders die Besitzer. Wir haben Glück und bekommen an diesem Abend sogar noch eine Sondervorstellung der hiesigen Bräuche, denn es ist der Abend vor dem Tag der Jungfrau von Guadalupe („Dia de la Virgin de Guadalupe“). An diesem Abend gibt es einen Umzug in den traditionellen Kostümen der unterschiedlichen Regionen. Uns erinnert das Ganze stark an Karneval.

Gabriela ist Kindergärtnerin beziehungsweise leitet zwei Einrichtungen und lädt uns zu einem kurzen Besuch dorthin ein. Wir sind beeindruckt, das hätten wir so nicht erwartet. Helle und große Räume, ein mit Fingerabdruckscanner gesicherter Eingangsbereich, moderne Büroausstattungen und genügend Platz für die Kids und ihre Spielsachen, sowohl in einem Innen- als auch Außenbereich. Da würde manch Kindergarten in Deutschland neidisch werden. Was uns aber deutlich mehr verwundert oder beeindruckt, ist ein Raum mit rund 20 Babys in Babyschalen. In Gabrielas Kindergarten werden also auch Kinder im Alter ab 45 Tagen in Obhut genommen. Klar stellt sich die Frage, wie lange die Auszeit einer Mutter mit ihrem Kind sein sollte. Sind 45 Tage genug? Ich habe darauf keine Antwort. Dennoch bin ich mir sicher, dass es gerade hier in Mexiko sicherlich eine größere Rolle spielt nach der Geburt wieder Geld zu verdienen, als in Deutschland, wo die soziale Absicherung deutlich ausgeprägter ist und Eltern mehrere Monate Elternzeit nehmen können, ohne gleich in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Nach diesen etwas anderen Eindrücken von Mexiko machen wir uns gemeinsam mit Pablo im Bus auf zum Tempel von „El Pichon“. Auf dem Weg dorthin sehen wir bereits viele Menschen entlang der Straße pilgern, die zu dem Tempel wollen, um die Jungfrau von Guadalupe zu sehen. Das Polizeiaufkommen ist schon beeindruckend. Wir sehen zahlreiche Pickups mit teilweise schwer bewaffneten Polizisten auf den Ladeflächen. Die meisten Polizisten in Deutschland sind mit Pistolen und manchmal mit Maschinenpistolen ausgerüstet. Hier tragen fast alle Polizisten Gewehre und die Pistole natürlich auch. Ein wenig nachdenklich macht das schon, aber dennoch fühlen wir uns nicht unsicher. Die Polizisten sind sehr freundlich uns lassen uns sogar ihren futuristischen Spezialeinsatzwagen inspizieren. Von außen macht dieser einen imposanten Eindruck, von innen jedoch glaube ich in einem Heimwerkerprojekt gelandet zu sein. Einige Lösungen, wie zum Beispiel die Klimaanlage oder das Cockpit könnten auch von einem eifrigen Tüftler in Eigeninitiative installiert worden sein. Interessant bleibt das Teil trotzdem. Einige Meter später sehen wir dann auch noch einen mobilen Wachturm, der aus der Menschenmenge ragt. Derartiges Equipment habe ich bei der Polizei in Deutschland noch nicht gesehen. Nachdem wir uns dann den Weg, der auch an einen überfüllten Markt erinnert, mit der wandernden Menschenmasse entlang gekämpft haben, schauen wir uns kurz die Kirche und das Treiben dort an. Zurück geht es dann wieder mit der Menschenmasse mit, entlang der vielen kleinen Verkaufsstände. Das Angebot reicht von vermutlich nicht ganz so legalen Kinofilmen, über Spitzenunterwäsche bis hin zu allen erdenklichen Spiel- und Haushaltswaren. Ganz zu schweigen von dem vielfältigen Essensangebot. Da die Warteschlange für den Bus zur Heimreise eine beachtliche Länge angenommen hat, entscheiden wir uns den Rückweg zu Fuß anzutreten (ca. 8km oder mehr). Das sommerliche Wetter lädt förmlich dazu ein. Zurück in Tepic treffen wir uns mit Gabriela zum Essen und planen am restlichen Abend gemeinsam unseren weiteren Weg durch Mexiko.

Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Etzatlán, wo wir uns mit Miguel treffen wollen. Er ist in der mexikanischen Motorradreiseszene wohl recht bekannt und mit seinen Bikes bereits viel herumgekommen. Bevor wir Etzatlán erreichen, passieren wir noch ein großes Feld mit dunklem Vulkangestein, was ein wenig gespenstisch aussieht. Obwohl wir nur etwas mehr als 150km vor uns haben, kommen wir trotz straffer Fahrweise und großen Zeitpuffer ein wenig später an als geplant, da uns die Zeitverschiebung zwischen den beiden Orten nicht bewusst war. Aber alles halb so wild Miguel ist auch noch nicht da. Aber da kommt er schon mit seinem (ich traue meinen Augen nicht so recht) Peugeot. Nicht dass es ein besonderes Auto wäre, aber hier sieht man die Fahrzeuge der französischen Hersteller eher selten. Deutsche Marken haben sich hier neben den amerikanischen Pickups und SUVs deutlich mehr durchgesetzt. Kurz unsere Sachen abstellen und schon geht es weiter, denn Miguel ist mit einigen Studienkollegen verabredet und nimmt uns kurzerhand mit. So kommen wir in den Genuss einem Absolvententreffen der Zahnmediziner im 90km entfernten Guadalajara beizuwohnen. Rund 1,5 Millionen Einwohner hat die Stadt, was wir hier so nicht erwartet hatten. Miguel zeigt uns bei der Gelegenheit auch gleich einen Teil des Weges, den wir dann für unsere Fahrt nach Leon nehmen müssen. Dann sind wir aber auch schon da und treffen auf die Zahnärzte. Zwischendurch klinken wir uns auch für eine Stunde aus und erkunden ein wenig die Nachbarschaft.

Am Sonntag machen wir abermals mit Miguel die Gegend unsicher. Zuerst fahren wir nach Ahualulco zu einem traditionellen Reiterfest. Im Wettkampf müssen die Cowboys vorbeirennende Pferde mit dem Lasso einfangen. Dabei müssen sie das Lasso so werfen, dass die beiden Hinterbeine der Pferde gefangen werden und die Pferde nicht mehr weiter rennen können. Das schaffen nur wenige und wenn es gelingt, fängt der Sattel, um den das Lasso gewickelt ist, an zu qualmen und eine nach verschmortem Holz riechende Rauchwolke legt sich für einige Sekunden um den Cowboy.

Nachdem dann einige der Leute mitbekommen haben, dass sich hier auch ein paar merkwürdige Gestallten (nämlich wir) rumtreiben, kam es hin und wieder zu Durchsagen über die Lautsprecheranlage in denen die „Deutschen“ erwähnt wurden. So kam man schnell mit einigen anderen Gästen ins Gespräch und wenig später durften wir dann auch noch einen Gruß über die Lautsprecher loswerden. Tequila gab es selbstverständlich auch. Dann geht es aber auch schon weiter zu der nahe gelegenen Hazienda „Labor de Rivera“. Am Vortag wurde hier scheinbar eine größere Veranstaltung von IBM ausgetragen, dies lassen zumindest die herumstehenden Werbebanner vermuten. Die ganze Anlage ist nun eine Art Luxushotel im Stile eines alten Landguts. Wer möchte, kann hier richtig viel Geld für eine Übernachtung ausgeben. Das Romanze-Paket zum Beispiel kostet für ein Paar umgerechnet rund 350 Euro pro Nacht. Auf dem Rückweg machen wir einen kurzen Stopp bei Miguels Zahnarztpraxis und verewigen uns an der „Wand der Reisenden“. Ich nutze die Gelegenheit, um mir auch mal auf den Zahn fühlen zu lassen, da ich vor einigen Tagen oder Wochen gelegentlich ein Stechen im Zahn hatte. „Leider“ kann er nichts weiter finden, was mich erst mal beruhigt. Falls die Schmerzen dann noch mal wiederkommen, habe ich ja noch einen Termin in Mexiko Stadt und kann dann gegebenenfalls etwas machen lassen. Vorsorglich haben wir diesen Termin schon vor einigen Tagen mit unserem Servas-Kontakt in Mexiko Stadt gemacht. Bereits in den USA sagte man uns, dass die Ausbildung der Ärzte in Mexiko gut sei, da viele von ihnen in den USA studiert haben. Bevor es zurück in Miguels Haus oder besser Villa geht, machen wir noch einen Taco-Stopp, wo ich auch mal einen Taco mit Zunge probiere. An einen „Taco de Cabeza“ (mit Teilen des Kopfes) traue ich mich nicht ran. Nach dem Essen machen wir uns gemeinsam an die Routenplanung. Miguel hat viele Tipps und Kontakte für uns parat.

Leon, eine mit 1,6 Mio Einwohnern relativ große Stadt, liegt gute 300km östlich von uns und ist unserer heutiges Ziel. Wir fahren zu Pepe, einem Freund von Miguel. Eigentlich wollten wir bei der Gelegenheit auch noch durch das Städtchen Tequila fahren, da aber die Wolken nicht sonderlich einladen aussehen und wir nicht wissen wie lange wir am Ende für die 300km brauchen werden, entscheiden wir uns dagegen. Der, wenn auch nur kurze Umweg, um mal kurz anzuhalten und ein Foto zu machen, ist uns dann doch zu viel. Die Fahrt dahin führt uns durch Guadalajara, wo wir bereits den groben Weg kennen. Unspektakulär ist die gesamte Strecke, sodass wir nicht in die Verlegenheit kommen anzuhalten und deshalb zeitig an unserem Ziel ankommen. Dort empfängt uns auch schon Alicia, Pepes Frau. Sie bereitet uns ein ausgesprochen leckeres Mittagessen zu – Hähnchenschnitzel, Knoblauchreis und selbstgemachte Salsa. Wenig später lernen wir dann auch Pepe und seine Tochter Cony kennen. Pepe oder auch „El tigre“ ist der Präsident des Motorradclubs „69 Ovejas Negras Leon“ (69 Schwarze Schafe Leon) und heißt und nochmals herzlich willkommen. Dazu gehört auch die Einkleidung mit einem neuen T-Shirt, eins von der Motofiesta Leon und eins von den 69 Ovejas Negras Leon, welche wir auch gleich anziehen. Nach dem Essen haben wir etwas Zeit und ich ändere die Position meines Lenkers ein wenig, um bei der Fahrt eine etwas entspanntere Haltung der Hände zu haben. Langsam wird es Abend und wir machen uns alle gemeinsam auf in die Stadt. Dort Treffen wir Natasha und Oscar. Natasha kommt ursprünglich aus Kasachstan und hat in Deutschland studiert. Dies ist für uns von besonderen Vorteil ist, da wir nun quasi einen Dolmetscher mit dabei haben. Durch sie erfahren wir allerlei informative Dinge und werden rechtzeitig gewarnt, wenn mal etwas Scharfes auf den Tisch kommt. Wir schlendern durch die Stadt und wie sollte es anders sein, genießen wir all die kulinarischen Köstlichkeiten, die uns auf der Straße begegnen (z. B.: Atole – eine Art Drink auf Basis von Mais, Esquite – Mais mit Mayonnaise, Käse und Gewürzen, Chicharon – getrocknete, frittierte Schweinehaut). Die knusprige Schweinehaut wird in einem Brötchen und mit ordentlich scharfer Salsa serviert. Die Schärfe ist zwar erträglich, aber meine Gesichtsfarbe hat sich dann doch der Salsa angepasst und wurde mehr und mehr rot (zur Freude der Anderen).

Mit leckeren Huevos Rancheros (Spiegeleier auf frittierten Tacos) starten wir in den Tag. Direkt nach dem Frühstück fahren wir gemeinsam mit Pepe und Cony nach Guanajuato. Bei einem kurzen Zwischenstopp lernen wir einen der Organisatoren der Motofiesta Leon kennen. Die Motofiesta in Leon zählt zu den größten Motoradtreffen in Lateinamerika und wir haben uns fest vorgenommen diese in den nächsten Jahren einmal zu besuchen. In Guanajuato treffen wir uns mit Fernando, der uns in der Stadt herumführt und interessante Geschichten über der Stadt erzählt. Die farbenfrohe Stadt war Ende des 18. Jahrhunderts der weltgrößte Silbererzeuger (1/6 der Weltproduktion). Viel wichtiger ist aber die Bedeutung von Guanajuato für den mexikanischen Unabhängigkeitskrieg. Im Jahre 1810 stürmte Miguel Hidalgo y Costilla die Stadt mit seinen Truppen, womit die reichste Stadt Mexikos in der Hand der Aufständischen war. Guanajuato ist heute noch ein Symbol der mexikanischen Unabhängigkeit und begeistert uns besonders durch die vielfältige Architektur sowie den außergewöhnlichen Farbreichtum. Hier würden wir gern mehr als einen Tag verbringen, aber leider ist das dieses Mal nicht möglich. Nach einem ausgedehnten Essen mit einem kleinen Interview zu unserer Reise machen wir uns dann auch schon wieder auf den Rückweg, da wir vor Einbruch der Dunkelheit zurück müssen. Das Licht von Pepes Motorrad ist recht schwach, doch während der Fahrt bemerken wir, dass auch noch die Leuchte von Ullis Tenere durchgebrannt ist. Wir schaffen es natürlich nicht im Tageslicht nach Hause und so legen wir den Rest der Strecke mit Warnblinkern zurück. Zu Hause angekommen, lernen wir auch den Rest der Familie und einen Freund aus Monterrey kennen, der ebenfalls mit seinem Motorrad durch Mexiko reist.

„Was ist das“, frage ich am nächsten Morgen als ich das Bike beladen will. Eine Flüssigkeit ist entlang der Gabel bis auf das Rad getropft. Klasse, und dass jetzt, wo wir zeitig starten wollen, um die 400km nach Mexiko Stadt entspannt fahren zu können. Die Ursache ist zum Glück schnell gefunden. Es ist Bremsflüssigkeit, die an der Schraube des Bremsflüssigkeitsreservoirs austritt. Durch die geänderte Position des Lenkers drückt nun der Handprotektor auf die besagte Schraube, sodass die Flüssigkeit austreten kann. Glücklicherweise ist dieses Problem schnell gelöst, sodass wir ohne viel Verzögerung starten können. Pepe hat währenddessen auch schon einen befreundeten Mechaniker herbeigerufen, der aber am Ende auch nur noch feststellen kann, dass das Problem behoben wurde. Nach eine kurzen Testfahrt geht es dann los in Richtung Hauptstadt.

Die Fahrt dahin ist abenteuerlich. LKWs mit platten Reifen sind die harmlosesten Vorkommnisse. Schafherden auf autobahnähnlichen Straßen, Buschfeuer am Straßenrand, Bauarbeiter ohne jegliche Absicherung der Baustelle und parkende Fahrzeuge auf der linken Spur sind keine Seltenheit. Hier müssen wir verdammt gut aufpassen.


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Mexiko – Baja California

29.11.-10.12.2014
 
Die innere Aufregung kann ich nicht verhindern. Früh am Morgen wollen wir die Grenze nach Mexiko überqueren. Von diesem Land haben wir viel Schlechtes, aber auch einiges Gutes gehört. Wir haben uns für die kleinere Grenzstadt Tecate entschieden, da Tijuana und Otay Mesa stark frequentierte Grenzübergänge sind und wir uns die Fahrt durch das derzeit „gefährliche“ Tijuana sparen wollen. Die Stadt ist in letzter Zeit von einer höheren Kriminalitätsrate betroffen und wir wissen noch nicht wie gut wir uns in mexikanischen Städten zurechtfinden werden. Da wir schnell aus dem Grenzgebiet heraus und Strecke in Richtung Süden machen wollen, möchten wir durch Umherirren keine Zeit verlieren.
 
Wir fahren über die Grenze und niemanden interessiert es. Plötzlich sind wir in einer mexikanischen Kleinstadt. Kommt da noch was und fragt uns noch jemand nach unserem Reisepass? Wir drehen wieder um und fahren zurück zum Grenzposten. Der Wachsoldat mit dem Maschinengewehr schaut uns etwas skeptisch an und wir erklären dass wir noch ein Touristen Visum und Genehmigungen für unsere Fahrzeuge benötigen. Schnell wird mit Kegelhütchen auf der Straße ein Parkplatz für unsere Bikes kreiert und wir laufen zurück über die Grenze. Wir füllen das FMM Formular aus, bezahlen die Visumgebühr und bekommen direkt ein 180-Tage Visum. In die Baja California darf man Fahrzeuge ohne Erlaubnis einführen, für die anderen Bundestaaten, die wir durchfahren müssen, brauchen wir eine spezielle Bescheinigung. Diese wird von der Staatsbank Banjercito ausgestellt und es ist ein Deposit zwischen 200 und 400 USD zu hinterlegen, welches man bei der Ausreise mit dem Fahrzeug wiederbekommt. In Tecate könne man uns dies zurzeit leider nicht ausstellen, aber später in La Paz gäbe es die Möglichkeit. Na hoffentlich stimmt das, denke ich mir, denn bis dorthin sind es noch 1500km und für die Überfahrt nach Mazatlan brauchen wir in jedem Fall diese Erlaubnis.
 
Schnell finden wir den Highway 3, den wir nach Süden hinunter fahren wollen, bis wir auf den Highway 1 stoßen. Nach kurzer Zeit endet jedoch die Straße aufgrund einer Baustelle und natürlich gibt es keine Hinweise für eine Umleitung. Also biegen wir rechts ab und wir müssen doch ein wenig durch die Stadt zuckeln. Das Navigationsgerät ist nicht sonderlich hilfreich, doch bald finden wir die Stelle hinter der Baustelle und weiter geht die Fahrt.
 
Es ist als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Aus dem reichen Südkalifornien kommend, befinden wir uns nun in einer ärmlichen mexikanischen Kleinstadt. Viele Straßen sind gar nicht erst asphaltiert, die Anstriche der Häuser sind verblasst und wirken schmutzig. Hier und da liegt Müll herum und zerzauste Hunde kreuzen herrenlos die Fahrbahn. Der Bus vor mir stinkt und klappert. Erstmal schauen wir, wie das hier mit der Vorfahrt funktioniert. Aha, ähnlich wie wir es vorher gelesen haben: Vorfahrt hat entweder der Stärkere oder derjenige, der keine Lust hat zu warten. Doch das Chaos scheint organisiert und mit unserem defensiven Fahrstil kommen wir gut zurecht.
Wir durchfahren auf dem Weg nach Süden kleine Ortschaften, die uns schon fast an die Zustände in Nepal erinnern. Hier sieht es zum Teil aus wie bei einer Kulisse für Weltuntergangsfilme. Es gibt eine einzige asphaltierte Straße, also die Landstraße, die durch den Ort führt und rechts und links geht es direkt auf Schotter oder Sandboden weiter. Die Häuser bzw. Hütten sehen meist heruntergekommen oder improvisiert aus. Das Leben scheint draußen auf der Straße stattzufinden. Viele Leute sitzen vor ihren Häusern herum und Straßenhändler bieten ihre Waren an. Dieses Bild ändert sich jedoch etwas, je weiter wir nach Süden fahren. Nahe der Grenze scheinen die Menschen besonders schlimm von Armut betroffen zu sein.
 
In Ensenada tausche ich in einer Wechselstube US-Dollar in mexikanische Pesos ein. Der Mann hinter dem Schalter ist sehr freundlich und fragt mich ob ich Wein trinke. Etwas verwirrt verneine ich dies, schließlich will ich mich auf das Wechselgeld konzentrieren. Dann fragt er mich mit Blick nach draußen ob mein Mann Wein trinkt. „Manchmal“, sage ich und darauf hin schenkt er mir einen kleinen Korkenzieher. Das Wechselgeld stimmt.
 
Die erste Nacht zelten wir wild. Wir fahren eine Zufahrtsstraße zu einem Nationalpark rein und suchen von dort aus nach kleineren Wegen. Nach ca. 25 km entscheiden wir uns für eine kleine Bergstraße neben einem Feld und bauen etwas höher gelegen unser Zelt auf. Der Blick in die grün-braunen Berge ist schön und wir erkunden noch einige der vielfältigen Kakteen, bevor wir uns ans Kochen und Zeltaufbauen machen.
 
Der Highway 1, der sich von Nord nach Süd ca. 1700km durch die gesamte Halbinsel zieht, ist in einem erstaunlich guten Zustand. Es gibt keine Schlaglöcher und die Straße ist stets sauber. Circa alle 300km gibt es stationäre Militärkontrollen, wo bewaffnete Soldaten den Durchgangsverkehr kontrollieren. Wir fahren immer langsam heran, klappen das Visier hoch, lächeln freundlich und grüßen, und so wurden wir immer durchgewunken. Nur einmal mussten wir südlich von La Paz einen Seitenkoffer aufmachen. Nach einem oberflächlichen Blick des Soldaten in den Koffer durften wir weiter fahren.
 
Wir dachten, dass wir inzwischen schon einiges an Landschaften gesehen haben, doch hier auf der Baja California bieten sich uns wieder völlig neue Anblicke. Wir fahren vorbei an riesigen Kakteen, vielleicht 8m hoch. Sie werden immer zahlreicher und bald befinden wir uns in einer Kakteen-Steinwüste. Schaut man genauer hin, ist die Vielfalt der Flora überwältigend. Zwischen den Riesen-Kakteen, deren Namen wir derzeit noch nicht kennen, stehen verschiedenste kleine und mittelgroße Kaktusgewächse. Lang und dünn, kurz und dick, breit und rund, mit langen oder kurzen Stacheln, verschiedene grün und braun Töne… je länger wir hinschauen, desto mehr Arten entdecken wir.
In der zweiten Nacht war unser Zeltplatz nicht so gut gewählt. Wir sind in eine Schotterstraße abgebogen und haben uns nahe der Piste hinter einer Gruppe von Büschen niedergelassen. Mit Anbruch der Dunkelheit kam dann das ein oder andere Auto vorbei, wobei wir uns jedes Mal gefragt haben, warum die Leute so spät noch hier lang fahren. Ab 18 Uhr war es stockduster, sodass es bis zum Morgengrauen 12 Stunden lang hieß im Zelt zu verweilen. Selbst zwischen Mitternacht und morgens 4 Uhr kam noch das ein oder andere Auto entlang, welches mich jedes Mal aus dem unruhigen Halbschlaf gerissen hat.
 
Es gibt auch einige langweilige Abschnitte auf der Baja, die sich durch scheinbar endlose Geradeausfahrten und unspektakulärer Landschaft auszeichnen. Endlich, eine kleine Bergkette. Wir erkennen von weitem die Straße, die sich hinaufschlängelt und entscheiden uns zur Zeltplatzsuche dort hochzufahren. Wir schrauben uns auf die Sierra de San Francisco hinauf und genießen in der stimmungsvollen Abendsonne eine wunderbare Aussicht in Canyons und auf der anderen Seite in die weite Ebene. Leider ist rechts und links von der Straße alles eingezäunt oder steinig und somit ungeeignet für ein Zelt. Auf der Straße begegnen uns innerhalb von zehn Minuten Kühe, eine Gruppe von Pferden und schließlich noch eine Schafherde. Ganz schön viel Verkehr hier. Fahren wir nun diese Straße weiter oder mindestens eine Stunde bis zur nächsten Stadt, um dort eine Unterkunft zu suchen?
 
Eine „Rancho“ (Bauernhof) liegt auf der Strecke in den Bergen und hier fragen wir, ob wir unser Zelt aufschlagen dürfen. Rogelio und Rogelio Junior begrüßen uns sehr freundlich und geben uns sofort eine Zusage. Erleichtert lassen wir uns unter einem großen Kaktus nieder. Später kommen die beiden noch mal zu uns und fragen uns ob wir noch etwas brauchen. Am Morgen laden sie uns zu einer Tortilla mit frischem hausgemachtem Ziegenkäse ein und wir unterhalten uns in der karg eingerichteten Küche. Über dem Küchentisch hängt ein riesiges Bild vom „Letzten Abendmahl“. Wir unterhalten uns mit einigen Worten Spanisch und etwas Englisch über unsere Reise. Rogelio fragt uns wie viel zum Beispiel die Motorräder kosten. Für die beiden mexikanischen Bauern ist die genannte Summe unvorstellbar. In ihren Augen sind wir extrem reich. Die Wertunterschiede zwischen den beiden Währungen Euro und mexikanischen Pesos sind enorm. Ja, in Mexiko wären wir damit reich, in Deutschland nicht ganz so sehr. Es wird uns an dieser Stelle richtig bewusst, auf welchem Niveau wir Deutschen leben. Es ist eigentlich keine neue Erkenntnis, kennen wir doch die Berichte aus dem Fernsehen über arme Länder. Doch den Fernseher konnten wir wieder ausschalten und uns unseren eigenen Problemchen widmen, während wir hier ständig mit der Armut konfrontiert werden.
 
Kurz vor Ciudad Constitucion ist plötzlich Stau. Wir fahren an der langen Schlange vorbei und erkennen schon von weitem eine Straßenblockade. Es scheint friedlich zuzugehen. Wir fahren bis vor und fragen den Polizisten was los ist. Vor einigen Wochen gab es in der Region einen extremen Hurrikan und die Regierung will kein Geld geben um für die Schäden und den Wiederaufbau zu bezahlen. Die Menschen wollen nun wissen wo ihre Steuergelder abgeblieben sind und demonstrieren. Der Polizist meint, wir sollen einfach mal fragen ob wir vorbei dürfen, da wir Reisende sind und damit eigentlich nichts zu tun haben. Also laufe ich zwischen die Traktoren, welche die Straßensperre bilden und Frage den Chef der Aktion mit meinem gebrochenen Spanisch ob wir mit zwei Motorrädern passieren dürfen. Er schaut mich etwas stutzig an, gibt mir aber dann die Erlaubnis. So schlängeln wir uns zwischen den Traktoren hindurch und haben wieder freie Fahrt.
 
In Ciudad Constitucion machen wir uns zum ersten Mal nach mehr als 6 Monaten Reise auf die Suche nach einem Hotel (abgesehen von 2 Nächten Hotel in Las Vegas). Für 200 Pesos (ca 11 Euro) finden wir eine Absteige. Nach dem wir die Bikes entladen haben, machen wir uns auf zu einem Spaziergang durch die Stadt.
 
Am nächsten Tag in La Paz kümmern wir uns zunächst um die Tickets für die Fähre nach Mazatlan. Wir fahren zum Hafen in Pichilingue und bekommen dort, wie von der Grenzbeamten damals gesagt, auch unsere Fahrzeugerlaubnis. Die Fähre fährt dreimal die Woche. Es ist Donnerstag und wir wollen die Tickets für nächsten Dienstag kaufen, sodass wir noch etwas Zeit haben, um die Baja Sur zu erkunden. Am Verkaufsschalter für die Fährtickets sagt man uns es wäre nicht möglich, dort die Tickets zu kaufen, da wir für die Bikes eine Bestätigung vom Zoll brauchen. Durch den Zoll fahren wir aber erst am Tag der Abreise. Auf der anderen Seite kann man die Tickets angeblich auch nicht am Tag der Abreise kaufen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Frau hinterm Schalter erklärt uns wir müssten zum Office von Baja Ferries fahren. Dort haben wir nach einiger Zeit endlich die Tickets in der Tasche. Der ganze Vorgang hat circa 2,5 Stunden gedauert.
 
Bei Cabo Pulmo finden wir dank eines handgemalten Schildes eine Unterkunft in der kleinen „Ferienanlage“ von Bill, einem Amerikaner. Er hat einige alte Wohnwagen als Übernachtungsplätze eingerichtet und nach etwas Verhandlung über den Preis ziehen wir in einen der Wohnanhänger mit Blick auf das Meer. Wir entscheiden uns hier zwei Nächte zu bleiben und haben somit endlich mal einen Tag „frei“ am Strand, ohne Umherfahren und zu warme Klamotten.
Wir lassen die Seele baumeln und treffen bei einem Strandspaziergang an einem Kliff auf hunderte Krabben. Am Abend raschelt es plötzlich im Gebüsch und später sehe ich im Mondschein etwas über den Boden huschen. Mit der Taschenlampe enttarnt, freuen wir uns nun auf die Gesellschaft von zahlreichen Einsiedlerkrebsen. Das sind diese kleinen Krebse, die sich verlassene Muschel- bzw. Schneckengehäuse suchen und darin umherlaufen.
 
Die Touristenhochburg Cabo San Lucas stellt sich für uns als uninteressant heraus, und so fahren wir an der Westküste wieder gen Norden. Von der Strecke sind wir etwas enttäuscht, denn die Straße ist quasi eine zweispurige Autobahn fernab des Ozeans. Bei einem kurzen Halt am Straßenrand treffen wir auf Fred, einem pensioniertem Amerikaner der auch Motorrad fährt. Er lädt uns spontan dazu ein, unser Zelt neben sein Haus zu stellen. Dort sei es sicher und wir sind direkt am Strand. Gerne nehmen wir das Angebot an und kommen so in den Genuss von weitem Wale zu sichten.
 
Wieder in La Paz zurück, kommen wir dank Couchsurfing bei Osmar unter. Er ist ein junger Student und begeistert sich für die Meereswelt alle möglichen Aktivitäten in und auf dem Meer, wie Tauchen, Schnorcheln, Kitesurfen… . Wir kochen gemeinsam Abendbrot und besprechen viele verschiedene Themen. Am nächsten Morgen heißt es leider schon wieder Abschied zu nehmen, denn wir haben einen Termin mit der Fähre. Laut Fährangestellter sollten wir um 15 Uhr vor Ort sein, da die Fähre um 17 Uhr ablegt. Typisch deutsch stehen wir um 14 Uhr überpünktlich im Hafen auf der Matte. Bloß nicht die Fähre verpassen. Das hätten wir uns sparen können. Nach 5 Stunden warten werden wir auf die Fähre gelassen und circa 21 Uhr legen wir ab. In Mazatlan sollte die Fähre um 10 Uhr morgens ankommen. Um 17 Uhr legen wir schließlich am Hafen in Mazatlan an. Es bleibt nun nicht mehr viel Zeit, um im Hellen noch eine Unterkunft in einer uns unbekannten mexikanischen Stadt zu finden. Da könnte man schon nervös werden, doch inzwischen haben wir gelernt, dass sich immer irgendeine Lösung findet.
 
Unsere Zeit auf der Baja war ein guter Einstieg in Mexiko und wir hatten Zeit uns etwas an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Auf dem mexikanischen Festland allerdings wartet wieder eine andere Welt auf uns.
 


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